Sonntag, 7. Februar 2016

Review Holiday


Das junge, verwöhnte Mädchen Nao aus wohlhabenden Haus hält es nicht mehr in ihrer Familie aus und beschließt auszureißen. Als es merkt, dass es nicht wirklich vermisst wird, schmiedet Nao einen Plan: sie entführt sich selbst! Endlich bekommt sie die Aufmerksamkeit, nach der sie sich gesehnt hat. Doch alles kommt ganz anders, als es von ihr geplant war...

Mit diesem One-Shot liefert uns der recht bekannte Autor Otsuichi wieder mal ein Werk, dass sich nicht mit dem Mainstream vergleichen lässt. Zugegeben ich war schon recht erstaunt, als ich den Manga das erste Mal in den Händen hielt. Eine Story über eine fiktive Entführung von einem kleinen Mädchen? Das liest man wirklich nicht alle Tage, zumal ich bereits einige Werke des Duos Otsuichi und Hiro Kiyohara lesen durfte, die mich sehr überzeugt hatten. Also habe ich den Manga dann auch kurzerhand gekauft und gleich verschlungen, was ja bei einem Einzelband recht schnell geht. Und ich muss sagen, dass ich einerseits schon von der Geschichte fasziniert bin, andererseits fand, dass man hätte mehr einbauen können. Doch dazu werde ich im Verlauf der Review noch näher eingehen.

Der Leser wird mitten ins Geschehen geworfen, denn die Story beginnt damit, dass Nao unvermittelt bei einer Freundin Unterkunft sucht, weil sie von Zuhause weggelaufen ist. Warum sie das getan hat, wird unmittelbar danach auch erklärt. Damit wird uns schon mal die Figur selbst näher gebracht, sowie deren Lebensgeschichte und auch Motive, wodurch wir eine ganz gute Charakterisierung von Nao erhalten. Nao lebte einige Zeit allein mit ihrer Mutter, bis diese dann beschloss einen neuen Mann zu heiraten. Damit bekam sie auch eine neue Familie, alles war ungewohnt, aber sie mochte es. Doch dann starb ihre Mutter und ließ sie allein zurück.

Damit einher gingen auch Ängste, dass sie womöglich aus der Familie ausgestoßen wird, weil sie ja nicht das leibliche Kind ihres Vaters ist. Ich fand das schon mal sehr interessant, dass so etwas mal in Mangaform zu lesen, selten hat man solche familiären Konflikte, ob nun durch Scheidung oder Tod eines Elternteils gelesen. Ich konnte nachempfinden, wie sich Nao fühlte, so ganz allein in einer Familie, die nicht ihre eigene ist. Klar, dass man sich davor fürchtet, von der Familie rausgeschmissen zu werden, aber so weit kam es glücklicherweise nicht.

Und hier liegt eigentlich der Kern der Handlung, der sich eigentlich durch die gesamte Geschichte durchzieht. Es geht im Manga eigentlich nur um die Familie, und das aus verschiedenen Sichtweisen. Nao, die sich immer so fühlte, als würde sie nicht dazu gehören, weil sie ja mit ihrem Vater nicht blutsverwandt ist. Dann kommt nach einiger Zeit noch Kyoko zur Familie dazu, die die neue Lebensgefährtin ihres Vaters wird.

Es ist schon schwer für ein junges Mädchen die Mutter so jung zu verlieren, sich damit zu arrangieren und dann die neue Partnerin als eine Art Ersatz zu sehen. Doch dann ist es auch noch so, dass sich beide überhaupt nicht verstehen. Sie zicken und giften sich gegenseitig an, drohen sich mit Gewalt, eine Versöhnung scheint unmöglich. Dann nimmt der Vater Partei für Kyoko, was dazu führt, dass Nao endgültig der Kragen platzt. Sie fühlt sich unverstanden, ungeliebt und will nur noch von Zuhause weg. Und hier wären wir also wieder am Ausgangspunkt der Geschichte.


Jedenfalls geht es im Manga nicht nur darum, dass man sich seiner Familie nicht zugehörig empfindet, sondern auch wie wichtig Familie generell ist. Der Vater hat Nao aufgenommen, nicht weil er es als Pflicht ansah, sondern weil er trotz dessen das Blut sie nicht verbindet, er sie als Tochter sieht und sie ein Leben lang begleiten will. Die Stelle fand ich in dem Manga rührend und zeigt doch, dass Familienbande eben nicht nur auf biologischer Basis gründen. Doch für Nao, die das nie so wirklich sehen konnte bzw. der Vater es nie ausdrücklich gesagt hatte, war die Zuneigung ihrer Familie immer nur etwas, was wahrscheinlich erzwungen war, als eine Art „Leihgabe“.

Man sieht also, dass auch innerhalb der Familie Missverständnisse und Kommunikationsprobleme permanent entstehen können, wenn man sich nicht ausspricht. Und wiederum eine andere Sichtweise auf Familie lernen wir durch Kyoko, die Stiefmutter Naos, kennen, die im Gegensatz zu Nao niemals ohne Familie gewesen ist. An einer Stelle erklärt sie sehr mitfühlend, dass ihr Nao leid täte und sie sich nicht im Ansatz vorstellen könnte, ohne Familie zu sein. Egal was passiert war, egal ob die ganze Welt gegen sie war, für Kyoko waren ihre Eltern immer für sie da und hielten zu ihr.

Jedenfalls seht ihr, dass Familie in diesem Einzelband eine sehr wichtige Rolle einnimmt und ja eigentlich auch der Auslöser für die Flucht von Nao darstellt. Nao will wie erwähnt eigentlich mit ihrer Abwesenheit nur erreichen, dass ihre Familie sich um sie sorgt. Sie glaubt also, dass sie gar nicht von ihr geliebt wird und möchte doch, dass sie ihre Liebe unter Beweis stellen. Und das alles nur, weil sie sich mit Kyoko gestritten hatte und ihr Vater nicht zu ihr hielt. Man darf ihr gerne impulsive unüberlegte Handlungen vorwerfen, aber ich glaube, dass zeigt umso glaubwürdiger, wie Kinder oder Teenager eben ticken. Dass sie eben nicht versuchen sich in andere hinein zu versetzen, sondern sich ihren Stimmungsschwankungen hingeben und dann doch irrational handeln. Sicherlich nicht gerade positiv, aber es macht die Protagonistin einfach authentischer.

Jedenfalls sucht sie ihr Zuhause doch heimlich auf und begegnet der Bediensteten Kuniko, bei der sie dann auch Unterschlupf bekommt, um aus direkter Nähe alles familiäre mit zu bekommen. Nach einiger Zeit möchte Nao wieder nach Hause kommen, denn sie hat ihre Trotzphase überwunden. Doch dann trifft sie der Schlag: Sie hört wie ihre Familie fröhlicher Dinge sind und das obwohl die Protagonistin nicht da ist. Das führt dann wieder zu einem Rückschlag, bei dem Nao diesmal ernstere Register zieht. Aus dem anfänglichen Spaß wird bitterer Ernst, denn diesmal will sie nicht einfach verschwinden, sondern so tun, als wäre sie entführt worden!

Für Nao erscheint das alles nur ein Spiel und daran sieht man, dass sie den Ernst der Lage und was das alles für ihre Familie bedeutet einfach nicht wahrnehmen kann. Man kann ihr vorwerfen, egoistisch zu handeln, denn Entführungen, auch wenn diese fingiert sind, sind nicht zum Lachen! Es geht ihr einfach nur darum, dass sie will, dass ihre Familie verzweifelt nach ihr sucht und vor Sehnsucht nach ihr vergehen. Ganz ehrlich, das ist fies, keine Frage, aber irgendwie kann man es auch nachvollziehen. Dennoch, soll ihre Familie tot traurig sein, weil sie weg ist? Will sie ihre Familie ernsthaft leiden lassen? Indirekt schon, denn das wäre für sie ein Zeichen, dass sie ihren Eltern wichtig ist. Doch die Heldin denkt einfach nicht an die Gefühle anderer und welche Umstände das bereitet und wie unmoralisch das Ganze ist. Das Mädchen ist eben doch nur ein Kind, was glaubt, über den Dingen zu stehen, wie wir später feststellen werden.


Danach beginnt sozusagen der zweite Teil der Handlung, bei dem es darum geht, dass Nao ihre Familie an der Nase herum führt. Ja sie belügt und betrügt ihre Familie und fühlt sich nicht schlecht dabei! Im Gegenteil: sie genießt es sogar und hat richtig Spaß. Das alles kann man aus verschiedenen Perspektiven betrachten, einerseits verurteilen, andererseits nachempfinden oder auch unterhaltsam sehen. Ich denke mal, dass beim Leser sicherlich mehrere Ansichten gegeneinander kämpfen, zumindest war das bei mir so. Am Anfang genießt die Heldin es, dass sie die gesamte Aufmerksamkeit auf sich hat und sich alle um sie sorgen. Doch dann mischt sich natürlich die Polizei ein und alles nimmt ernstere Züge an. Sie steht vor dem Problem, wie sie diese am besten hinters Licht führen kann, ohne das Spiel aufdecken zu lassen. Dabei arbeitet sie mit Kuniko zusammen, sie kommunizieren über Handys sodass Nao auch immer weiß, wie die Lage Zuhause ist.

Es ist schon interessant das Geschehen zu verfolgen und es wird auch spannend, wenn Nao kurz davor ist in irgendwelche Fettnäpfchen zu treten. Sie darf auf keinen Fall auffliegen und muss alles so realistisch wie möglich konstruieren, was natürlich Verstand braucht. Für ein junges Mädchen im Mittelschulalter keine leichte Aufgabe, wie sich heraus stellt, aber durchaus interessant gemacht. Klar ist man neugierig darauf, wie sich alles entwickelt. Und es ist mal cool, dass man das Geschehen aus zwei verschiedenen Perspektiven sehen kann, einerseits aus der der Entführten und der Sichtweise der Außenstehenden. Dennoch will ich dagegen sagen, dass es nicht so spannend ist, wie man es sich vorstellt. Ich würde sogar sagen, dass eigentlich nicht soo viel passiert, alles verläuft ruhig, hin und wieder wird Aufregung hinein gestreut, doch so wirklich Eindruck hinterlässt es nicht beim Lesen.

Irgendwann kommt die Handlung an den Punkt, an dem sie wirklich merkt, dass alle sehr stark darunter leiden und das ganze eben doch nicht so gut ist, wie gedacht. Nao will dem Ganzen ein Ende setzen und Lösegeld verlangen. Die Übergabe wird genau geplant und doch verläuft sie ganz anders als gewollt. Darauf möchte ich aber nicht genauer eingehen, sonst würde ich euch die gesamte Handlung versauen.

Jedenfalls fand ich es gut, dass Nao ihr eigenes Scheitern erkennt und noch mal über ihr ganzes Vorhaben nachdenkt. In einem emotionalen Monolog sieht sie ein, dass das ganze Spiel zu viel für sie und ihre Eltern war. Dass ihr Handeln einfach nicht richtig war und sie sich selbst überschätzt hat. Sie erkennt dadurch ihre eigenen Grenzen und bereut das Ganze. Man kann sagen, dass dieser Punkt eine Wende in ihrer Persönlichkeitsentwicklung darstellt. Denn durch die Entführung hat sie sehr viel darüber erfahren, was ihre Eltern über sie denken und für sie empfinden und wie falsch sie eigentlich mit ihrer anfänglichen Angst war. Insofern war die Aktion eigentlich doch nicht umsonst, musste aber eben scheitern.

Was ich ganz toll fand, war der Twist am Ende, den ich wirklich nicht erwartet hätte. Der ist so groß, dass er die ganze Geschichte auf den Kopf stellt und daher werde ich darauf nicht eingehen, sondern versuchen ihn grob mal zu beurteilen. Er ist cool, weil man dann noch mal an den Anfang der Geschichte geht und dann versucht Hinweise zu finden, die mit dem Twist zusammen hängen. Eventuell bekommt man dadurch eine ganz andere Sichtweise auf das Geschehen. Aber ich fand es sehr merkwürdig, wie schnell das Ganze abgehandelt wurde und wie Nao darauf reagiert hatte.

Ich hätte erwartet, dass sie temperamentvoller antwortet, aber das reifende Mädchen scheint total gelassen zu sein, obwohl das wirklich eine schockierende Neuigkeit gewesen ist. Vielleicht zeigt das aber auch, das sie inzwischen sehr viel reifer geworden ist und besser mit der Wahrheit umgehen kann. Das wird es wohl sein: am Anfang hat sie sich gleich wegen einer Kleinigkeit aufgeregt und gegen Ende gewinnt sie an Gelassenheit, was womöglich ihre Entwicklung verdeutlichen soll. Obwohl das Ende cool ist, fand ich, dass vieles ungeklärt blieb, was für mich doch etwas unbefriedigend war. Außerdem fand ich es auch nicht unbedingt so gut, dass Nao ihren Eltern alles gebeichtet hat. Obwohl sie sich verändert hat, hält sie die Lüge dennoch aufrecht. Eigentlich sollte sie lieber dazu stehen, denn sie hat eindeutig Fehler gemacht und ihr Verhalten war alles andere als gerechtfertigt. Ich denke mal, darüber kann man streiten, was man davon hält.

Zu der Heldin selbst möchte ich sagen, dass Nao wirklich mal eine interessante Figur darstellt. Wie schon erwähnt, hat sie sowohl positive wie auch negative Facetten und man glaubt es ihr einfach, dass sie gerade in der Pubertät steckt. Ehrlich gesagt fand ich sie eigentlich sehr nervig, mit ihrer arroganten Art und dass sie eben mit ihrer Familie gespielt hatte und wie sie sich gegenüber Kuniko verhalten hat. Also das Klischee einer verwöhnten frechem Göre erfüllt sie auf jeden Fall.

Aber dennoch weicht sie davon ab. Sie ist kein dummes Mädchen, sondern kann durchaus kluge Einfälle haben und sie erhält eben Tiefgang, sie tut es nicht einfach aus Langeweile, sondern weil sie von ihren Gefühlen ebenso mitgerissen wird. Man kann es verstehen, aber auch verurteilen, was sie tut. Jedenfalls fand ich toll, dass sie sich gegen Ende verändert. Man merkt wirklich wie die Handlung und die Hauptfigur sich gegenseitig beeinflussen. Das ist lobenswert. Dann kommen noch andere Figuren vor, die jetzt aber nicht so stark charakterisiert werden. Kuniko wäre vielleicht noch erwähnenswert, die sehr tollpatschig und ruhig ist und sich von Nao herum kommandieren lässt, aber sie birgt ein dunkles Geheimnis...


Zeichenstil:

Dazu brauche ich eigentlich nicht viel sagen, außer, dass ich nichts auszusetzen habe. Ich liebe den Zeichenstil von Hiro Kiyohara, der einen recht realistischen Touch vorweist. Die Figuren sehen einfach alle perfekt und schön aus, die Proportionen stimmen einfach und mit Gestik und Mimik wird auch wunderbar gearbeitet. Ich mag es, wie der Mangaka die Augen der Figuren zeichnet und finde das Optische einfach ästhetisch total ansprechend. Mir ist aufgefallen, dass der Hintergrund öfter mal leer bleibt, was ich nicht schlimm finde, weil der Fokus sowieso auf den Figuren liegt. Da wo der Hintergrund aber wichtig wird, wird er natürlich auch eingesetzt und entsprechend detailliert ausgeschmückt. Jedenfalls ist der Zeichenstil unverkennbar, unvergleichlich und für mich einfach sehr toll.



Fazit:
Den Manga kann ich eindeutig jedem empfehlen, der einfach mal Lust auf extravagante kurze Geschichten hat, die dennoch sehr viel Tiefe aufweisen und durch wunderschöne Bilder begleitet wird. Da der Manga aber doch recht ruhig ist und eigentlich nicht so viel Spannendes zeigt, könnte er für einige langweilig und langatmig werden, die mit der Thematik nichts anfangen können. Ich betone aber, dass es schön ist, dass der Manga sich einem außergewöhnlichen Plot hat, das Thema Familie aus verschiedenen Sichtweisen beleuchtet und auch als eine Art Coming-of-Age-Story aufgefasst werden kann. Dennoch kann der Manga meiner Ansicht nach nicht mit anderen Werken des Duos mithalten.



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