Sonntag, 6. Dezember 2015

Sind Manga einfach nur Comics?






Hierzulande wird deutlich zwischen Manga und Comics unterschieden, was durch inhaltliche und äußerliche Aspekte untermauert werden kann. Andererseits ergeben sich doch viele Gemeinsamkeiten zu Comics, besonders wenn man sich die Darstellung und Erzählweise anschaut. Eine andere Sichtweise wäre, dass Manga zwar Parallelen zu Comics enthalten, aber doch grundsätzlich anders auf zu fassen sind. Sie sollten eher als eine eigene Erzählform verstanden werden. Welche Auffassung ist nun die passendste und wo sind tatsächlich Gemeinsamkeiten und Unterschiede zu Comics zu finden? Diesen Fragen widmet sich mein heutiger Beitrag.

Durchforstet man das Internet wird man auf Foren und anderen Plattformen bezüglich der Unterschiede und Gemeinsamkeiten von Comics, mit verschiedenen Ansichten konfrontiert. Einige Beispiele sollen mal genannt werden:

Manga gelten als besondere japanische Form eines Comics. Beim Lesen von Manga wandert das Auge schneller, während Comics sehr geometrisch aufgebaut sind. Denn hier solle der Ansatz eines Manga eher dem des Storyboards ähneln. Ein andere sagt, es gibt eigentlich keinen Unterschied, außer dass Manga einfach nur der japanische Begriff für Manga ist und Manga und Comic das gleiche meinen.

Dann wiederum sollen Manga aber in Japan eine viel größere Rolle spielen als Comics. Sie sollen als wesentlicher Bestandteil der Kultur aufgefasst werden. Eine ganz banaler Unterschied liegt in der Leserichtung. Während man Comics von vorne nach hinten und von links nach rechts liest, ist es bei Manga genau umgekehrt.


Im Grunde genommen kann man die genannten Aussagen so stehen lassen, muss sie jedoch entsprechend der Aspekte, die sie ansprechen, ordnen.


Definitionen

Das Wort „Comic“ stammt aus dem Englischen und bedeutet so viel wie „humoristisch“. Nach neuer Auffassung ist ein Comic eine Erzählung in wenigstens zwei stehenden Bildern. Damit ist Comic also ein Oberbegriff für Comic Trip, Bildgeschichte, aber auch Manga. Der Begriff ist aber von dem illustrierten Text zu unterscheiden. Der Comic ist eine literarisch-künstlerische Erzählform, bei der die Erzählung vorwiegend über das Bild transportiert wird. Obwohl das Bild dem Text übergeordnet ist, ist der Comic als eine Form der Literatur zu begreifen, denn anders als bei der bildenden Kunst dient die grafische Seite nie als Selbstzweck, sondern ist Träger der Handlung.

Der Begriff „Manga“ bedeutet übersetzt „ungezügeltes Bild“ ist eigentlich nur die japanische Bezeichnung für Comics. Außerhalb von Japan werden aber meist nur Comics, die aus Japan stammen, damit gemeint.

Wenn man also diese beiden Begriffe miteinander vergleicht, fällt auf, dass man durchaus Comic als einen Obergriff und Manga als spezielle Unterkategorie beschreiben könnte, zumal aus japanischer Sicht generell alle Comics als Manga bezeichnet werden. Diese Perspektive erklärt womöglich auch die Vermutung, dass es sich bei Manga eigentlich nur um Comics handelt, zumindest machen die Japaner scheinbar keine so klare Differenzierung wie es westliche Rezipienten tun würden.


Wesen von Comics und Manga


1. Optik

Sofort fällt bezüglich der optischen Gestaltung auf, dass Comics in der Regel aufwendig koloriert werden, während Manga meist in schwarz-weißen Seiten gehalten werden.

Es gibt weiterhin typische Stilelemente von Manga, die sie eindeutig von den meisten „westlichen“ Comics unterscheiden:

Zum einen wäre das doch recht europäische Aussehen der Figuren in Manga. Man sieht es beispielsweise durch die verschiedenen Haarfarben, die großen ebenso farblich variablen gezeichneten Augen.




Das Kindchenschema ist eigentlich DAS optische Merkmal von Manga schlechthin. Die Figuren werden absichtlich sehr niedlich und jünger dargestellt als sie sind. Das Kindchenschema ist eigentlich in nahezu allen Genres des Manga zu finden, außer bei recht anspruchsvollen, alternativen Manga besonders für ein erwachsenes Publikum, wo das realistische Figurendesign dominiert.

Der Gesichtsaufbau ist ebenso auffällig und Teil des Kindchenschemas. Die Augen sind in Manga das wichtigste, was zur Vermittlung von Gefühlen beiträgt. Darum sind sie auch besonders ausdrucksstark und detailliert gestaltet. Die Nase hat dagegen kaum eine Bedeutung und wird eher klein gezeichnet. Auch der Mund ist meist klein, kann aber durch emotionale Reaktionen durchaus sehr groß und übertrieben dargestellt werden.

Um Emotionen und Gesichtsausdrücke zu betonen, die zur Verniedlichung und auch parodistischen Verstärkung, werden die Figuren in Extremform gezeichnet, was als „Super Deformed“ bezeichnet wird. Anatomische Korrektheit ist hier nebensächlich, nur die wichtigsten Körperteile werden betont. Besonders in komischen Situationen kommt diese Form zur Anwendung. Der Begriff „Chibi“ meint die Darstellung eines Charakters in kindlicher und gedrungener Form. Hier wird das Kindchenschema aufs Äußerste getrieben.

Sowohl in Comics als auch in Manga werden bestimmte Stilemente für die Darstellung von Gefühlen verwendet. Hier mal einige Beispiele:

Charakteristisch für Manga sind bspw. Schweißtropfen für Verlegenheit und Stress. Ein Kreuz auf der Stirn deutet Blutgefäße durch Wut und Ärger an. Eine Schleimblase aus der Nase verbildlicht, dass eine Figur gerade schläft. Nasenbluten symbolisiert sexuelle Erregung und Begierde, die Steigerung wären Blutfontänen. Spiralaugen stehen für die Erschöpfung oder Bewusstlosigkeit.




Manga sind durch schnelle, dafür auch meist weichere Zeichenstriche gekennzeichnet. Die Figuren werden zwar nicht so detailliert wie in Comics gezeichnet, dafür verfügen sie über eine Bandbreite an vielfältigen Gesichtsausdrücken. Durchaus kann man die Gesichtszüge und emotionalen Reaktionen von Figuren aus Manga als zu übertrieben auffassen, dafür hinterlassen sie aber auch mehr Eindruck. Daran erkennt man wie wichtig es in Manga ist, Emotionalität zu transportieren, damit auch den Leser mehr in das Gelesene einzubinden. Interessant beim Bildaufbau ist auch, dass bei Hintergründen „Speed Lines“ verwendet werden, um eine hohe Geschwindigkeit oder starke Gefühle zu zeigen. Sie sind in Manga häufiger anzutreffen als in Comics. Besonders hier sieht man die Anleihe an eine Kamera, an der etwas schnell vorbei zieht. Dadurch wird eine größere Dynamik erzeugt. 


Demgegenüber erscheint der Comics sorgfältiger gezeichnet. Dadurch wirken die Figuren oft statischer und das Lesen benötigt deswegen mehr Zeit. Hier drücken die Figuren Emotionen eher durch Gestiken aus und die Linienführung ist stärker betont. Soundwörter stehen im Vordergrund und die Hintergründe sind detailliert geschmückt, während man bei Manga je nach Genre doch eher mit blasseren Hintergründen rechnen kann. Auffällig ist hier besonders bei Shoujo-Manga die Verwendung von typischen Hintergründen, die eher die jeweilige Atmosphäre unterstreichen sollen (bspw. romantisch, verträumt, melancholisch, düster etc.) Soundwörter verbinden sich mit den Bildern und sind daher eher unauffällig.

Hinsichtlich der Text- und Bildgestaltung dominieren in Manga Bilder und beschreibende Situationen. Westliche Comics dagegen sind wesentlich textlastiger und beschreiben Szenen und Zusammenhänge vermehrt durch Worte als durch Bilder.





2. Inhalt

Handlung und Figuren

Im Manga ist auffällig, dass dieser nicht nur Geschichten erzählt, sondern den Fokus auf die Interaktionen und Persönlichkeitsentwicklung der Figuren Raum und Zeit lässt. Dagegen wird im Comic der Haupthandlung eindeutig verfolgt, ohne sich Zeit zu lassen auf andere Dinge einzugehen. Daraus folgt auch, dass der Umfang von Comics hauptsächlich geringer gehalten ist als bei Manga.

Nun glaube ich aber, dass Comics durch ihre Textlastigkeit durchaus das Potenzial haben anspruchsvollere Geschichten zu erzählen als Manga. Ich weiß, dass es auch recht komplexe Manga gibt, die ebenfalls viel Text vorweisen, aber deren Komplexität eben durch die bildliche Gestaltung noch mal komprimiert wird.

Mir fällt außerdem auf, dass besonders bei Manga die Beziehung zur Ursprungskultur sehr prägend ist. In Manga wird der Bezug zur japanischen Kultur immer deutlich, sei es durch die Figuren selbst, ihre Verhaltensweisen, aber eben auch durch das Setting und andere Elemente wie bspw. Feste, Traditionen etc. Natürlich gibt es auf der ganzen Welt auch Comics, die sicherlich auch Bezüge zu ihren Ursprungsländern aufweisen. Aber ich bin der Ansicht, dass es in keiner Comic-Gattung so auffällig ist, wie bei den Manga.

Themen und Zielgruppen

Eigentlich müsste man vermuten, dass Comics eher an Kinder und Jugendliche gerichtet sind, aber das ist ein Irrtum, genauso, dass sich Comics nur mit Superhelden befasst. Comics sind eigenständige Medien, die nicht an bestimmte Genres oder Zielgruppen gebunden sind. Das gleiche trifft auch auf Manga zu, bei der für jede Altersgruppe etwas dabei ist. Ich möchte aber mal behaupten, dass die Bandbreite an Genres bei Manga schon umfangreicher ist, zumal wir auch auf sehr spezielle Genres treffen, die sich auf die sexuelle Orientierung festlegen (Boys Love, Girls Love) oder sich auf Altersgruppen fokussieren (Shojo, Shonen, Seinen, Josei etc.) und ganz besondere Settings vorweisen (Mecha, Slice-of-Life, Harem/Ecchi) etc.



Wo stellen sich nun aber die Gemeinsamkeiten von Manga und westlichen Comics heraus?


Beide sind an Filmtechniken angelehnt und werden auch in Form von Filmen oder Animes in andere Medien übertragen. Beide zielen darauf ab, Geschichten durch Bilder in Verbindung mit Worten zu erzählen, wodurch der visuelle Aspekt natürlich sehr wichtig wird.

So bestehen sowohl Comics als auch Manga aus Panels, um Augenblicke statisch darzustellen, aber auch Abläufe in der Zeit erkenntlich zu machen. Sie verbinden damit beide nicht nur Elemente aus dem Film, sondern auch der Fotografie, der Kunst, Theater sowie Literatur. Beides sind also plurimediale Medien, die also verschiedene Techniken aus anderen Medien übernehmen.

Beide arbeiten auch mit Sprechblasen, die die Kommunikation und Interaktion zwischen Figuren verdeutlichen. Gleichfalls kommen Gedanken wie Gefühle durch gestalterische Elemente zum Vorschein. Andererseits werden auch immer mal in Kästchen erzählerische Elemente zur Einleitung oder Überleitung verwendet. Bei beiden Medien ist das Zusammenspiel von Bild und Text sehr wichtig, wobei ersteres vordergründig ist. Jedoch bedarf es auch den Text, um Zusammenhänge und den Inhalt wirklich vollkommen nachzuvollziehen. Manga und Comic greifen auch auf bildliche Symbole zurück wie Gesichter, deren Mimik eindeutig Gefühle ausdrücken. Piktogramme also bspw. Tropfen, Blitze, Sternchen, Rauchspiralen etc. werden ebenfalls genutzt.

Beide richten sich primär an den Unterhaltungswert, was ihre Funktion kennzeichnet. Selten dienen Comics und Manga anderen Zwecken wie bspw. der Bildung.


Eine weitere Gemeinsamkeit liegt in der Rezeption der beiden. Sowohl bei Comics wie auch Manga gilt das Vorurteil, dass beide nur für Kinder gedacht sind. Beschäftigt man sich jedoch mehr mit diesen beiden Medien, wird man eines Besseren belehrt. 


Nun zur Ausgangsfrage: Sind Manga eigentlich nur Comics? Ich würde es generell nicht eindeutig bejahen oder verneinen. Einerseits sind Manga durchaus EINE besondere Form von Comics, aber sie sind nicht mit Comics gleich zu setzen. Sie stellen zwar ein eigenständiges Medium dar, aber haben starke Bezüge zum Comic selbst. Sie sind speziell aufgrund der besonderen Stilelemente und der Erzählweise sowie der speziellen Genres. Doch vom Muster her versuchen sie genauso wie Comics durch Verschmelzung von Text und Bild Geschichten zu erzählen.

Mich würde interessieren, was ihr von der Thematik haltet.
Sind Manga generell eigentlich nur Comics? Oder kann man das so nicht sagen? Was versteht ihr unter Manga und Comic? Seid ihr mit den genannten Unterschieden und Gemeinsamkeiten einverstanden? Hättet ihr noch Ergänzungen, die euch einfallen? Und welches Medium bevorzugt ihr? Wo seht ihr die positiven oder negativen Aspekte der beiden Medien?
Kann man das überhaupt verallgemeinern? Schließlich gibt es sowohl bei Comics wie Manga eine Vielfalt an Richtungen, die einen Vergleich nahezu unmöglich machen. Und wie sieht es mit deutschen Manga aus, die teilweise scheinbar zwischen Comics und Manga stehen. Wo hört ein Comic auf und wann wird etwas zu einem Manga?

Verbesserungsvorschläge und Ergänzungen sind sehr erwünscht! Ich würde mich sehr über eine rege Diskussion freuen. :)

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