Sonntag, 15. November 2015

Karoshi - Arbeiten bis zum Tod


Arbeiten um zu Leben oder leben um zu arbeiten?
Die Japaner sind dafür bekannt, dass sie es gerne mal mit ihrem Fleiß auf Arbeit übertreiben. Manche gehen soweit, dass sie dafür ihr Leben aufs Spiel setzen...


Karoshi bedeutet übersetzt „Tod durch Überarbeiten“ und bezeichnet zumindest in Japan einen Tod, der durch den Beruf verursacht wurde. Die Todesursache selbst ist meist ein Herzinfarkt oder Schlaganfall ausgelöst durch kontinuierlichen, extremen Stress. In Japan existieren etwa 40 japanische Kliniken, die sich auf dieses Phänomen konzentrieren.


Geschichte

1969 wurde der erste Fall von Karoshi bekannt gemacht, als ein 29-jähriger verheirateter Angestellter in der Versandabteilung der größten japanischen Zeitung durch Schlaganfall verstarb. Jedoch wurde dieses Phänomen erst Ende 1980 von den Medien wahr genommen, nachdem mehrere geschäftsleitende Manager im mittleren Alter ohne ergiebigen Grund an einer Erkrankung gestorben waren. Dieses Phänomen wurde daraufhin mit dem Begriff „Karoshi“ erfasst. Ab 1987 verbreitete es sich in der Öffentlichkeit und sorgte für viel Auffuhr, woraufhin das japanische Arbeitsministerium „Karoshi“-Statistiken veröffentlichten.

Ursache und Folgen

Ein möglicher Grund für dieses Phänomen liegt in dem wirtschaftlichen, schnellen Aufschwung Japans nach dem Zweiten Weltkrieg. Mittlerweile wurde erkannt, dass Arbeitnehmer nicht mehr als sechs bis sieben Tage pro Woche und mehr zwölf Stunden Arbeitszeit jährlich verrichten können, ohne, dass sie körperlich und geistige Leiden mit sich tragen.

Da dies inzwischen auch als eine haftungspflichtige Todesart erwiesen wurde, verklagen immer mehr Angehörige von Karoshi-Opfern die jeweiligen Arbeitgeber bezüglich Entschädigungszahlungen. Bevor dies geschehen kann, muss die Arbeitsüberwachungsbehörde den Fall auch als einen berufsbezogenen Tod überprüfen. Da dieser Vorgang viele Jahre beansprucht, sehen viele Angehörige vom Einklagen von Entschädigungszahlungen ab.
Das amtliche Kriterium für Überarbeitung liegt bei 100 Überstunden im Monat vor dem Tod. Oder durchschnittlich 80 Überstunden während der letzten sechs Monate.


Als Todesursache wurde „Karoshi“ aber lange nicht anerkannt. Diese Vorstellung durchlebte in den vergangenen Jahren eine Veränderung: Heutzutage wird von den Behörden akzeptiert, dass Selbstmorde und Fälle schwerer Depressionen auf Überarbeitung hindeuten können. Das Thema ist seit einigen Jahren länger in der Diskussion, was mit der momentanen Rezession zu tun hat - diese führt zu mehr Druck bei den Mitarbeitern.

Darüber hinaus, sind in japanischen Büros extreme Hierarchien Standard. Die wirklichen Ursachen des Todesfalls heraus zu finden, kann sich über Jahre ziehen. Dies zeigt eindrucksvoll der Fall des 30-jährigen Toyota-Mitarbeiters Kenichi Uchino. Über fünf Jahre erstreckte sich der Rechtsstreit, bis Uchinos Witwe 2007 erreichte, dass der Todesfall ihres Mannes als „Karoshi“ anerkannt wurde. Der eigentlich gesunde Familienvater war im Februar 2002 nach einem Arbeitsmonat von 106 Stunden Überstunden am Morgen am Arbeitsplatz zusammengebrochen. Grund: Herzversagen.

Laut einer Gewerkschaftsumfrage sagen zwei Drittel aller japanischen Männer aus, mehr als 20 Stunden unbezahlte Überstunden im Monat zu leisten. Vier Prozent erreichen damit mehr als 80 Überstunden. Die Begründung lässt eine gewisse Rechtfertigung der Arbeitgeber durchscheinen: Die Überstunden werden mit der japanischen Kultur legitimiert, die der Gesellschaft nützen und daher über den individuellen Bedürfnissen zu stehen haben.
Der Aufstieg Japans angefangen von der Verwüstung des Zweiten Weltkrieg hin zur ökonomischen Prominenz in den Nachkriegszeiten wird als allgemeiner Trigger für dieses Phänomen betrachtet. In einem Artikel der „International Labour Organization“ (ILO) über „Karoshi“ werden vier typische Fälle dieser Art erläutert:

1. Mr. A arbeitete in einer wichtigen Snack-Firma für mehr als 110 Stunden pro Woche und starb durch eine Herzattacke im Alter von 34 Jahren. Sein Tod wurde als berufsbezogen anerkannt.
2. Mr. B, Busfahrer, dessen Tod ebenfalls als berufsspezifisch angesehen wurde, arbeitete mehr als 3000 Stunden pro Jahr. Er hatte sich nicht einen Tag Urlaub in den 15 Jahren geleistet bevor er im Alter von 37 Jahren gestorben war.
3. Mr. C arbeitete in einer großen Drucker-Firma in Tokyo für über 4320 Stunden im Jahr inklusive der Nachtschicht und starb durch einen Schlaganfall im Alter von 58 Jahren. Seine Witwe erhielt 14 Jahre nach dem Tod ihres Ehemannes eine Entschädigung.
4. Ms D., eine 22-jährige Krankenschwester, erlitt eine Herzattacke, nachdem sie 34 Stunden durchgängig im Dienst war und dies fünf Mal im Monat.


Sowohl der physische Druck als auch der mentale Stress am Arbeitsplatz führen zu „Karoshi“. Menschen, die aufgrund des Stresses Selbstmord begehen, werden als „karojisatsu“ bezeichnet. Die ILO nennt ebenso einige andere Gründe für Überarbeitung durch beruflichen Stress:

1. Nachtschicht, Spätschicht oder Urlaubsarbeit, beides für eine lange Zeit. Während der lang andauernden wirtschaftlichen Rezession nach der Wirtschaftsblase in den 1980ern und 1990ern reduzierten die Unternehmen ihre Arbeitnehmeranzahl. Die Gesamtanteil an Arbeit wurde nicht verringert, was die Mitarbeiter zwang, noch härter zu arbeiten.
2. Stress verursacht durch Frustration, nicht die geforderten Ziele des Unternehmens zu erreichen. Selbst in der wirtschaftlichen Rezession, forderten Firmen unglaubwürdigen Arbeitsaufwand von ihren Arbeitnehmer und bessere Ergebnisse. Dies steigerte die psychologische Bürde für die Angestellten.
3. Erzwungene Resignation, Kündigung und Mobbing. Beispielsweise wurden loyale Arbeiter, die viele Jahre in Unternehmen tätig waren, plötzlich gefragt, ob sie nicht kündigen wollen, weil es zu Kürzungen des Mitarbeiterbestands kommen sollte.
4. Leiden durch mittelmäßiges Management. Sie waren oftmals in einer Position, andere Mitarbeiter zu feuern und waren hin und her gerissen zwischen dem Schutz des Personals und der Einhaltung der Regeln.

Viele ältere Mitarbeiter sind darauf vorbereitet unbezahlte Überstunden bis zu einem extremen Grad zu leisten, da ihre jüngeren Mitarbeiter oftmals kündigen, wenn der Job zu anstrengend wird. In einigen Fälle wurde auch bewiesen, dass Firmen sich der schlechten Gesundheit der Arbeitnehmer bewusst waren.


Der Umgang mit „Karoshi“

Einige Unternehmen haben sich die Mühe gemacht eine bessere Work-Life-Balance für ihre Arbeiter herzustellen. Toyota beispielsweise beschränkt Überstunden auf 360 Stunden pro Jahr (durchschnittlich 30 Stunden monatlich) und einige Büros verweisen jede Stunde nach 19 Uhr darauf, dass es wichtig ist sich zu erholen und erinnert die Arbeitnehmer nach Hause zu gehen. Nissan bietet Telearbeit für die Mitarbeiter an, wodurch es leichter wird sich um Kinder und Eltern zu kümmern. Eine Menge großer Kooperationen haben sogenannte „Tage ohne Überstunden“ eingeführt, die von den Arbeitern verlangen ihr Büro sofort um 17.30 Uhr zu verlassen. Jedoch ist der Arbeitsumfang zu hoch, wodurch einige Arbeitnehmer einen Vorteil daraus ziehen, dennoch solange arbeiten wie es geht oder die Arbeit mit nach Hause nehmen, was als „furoshiki“ (verhüllte Überstunden) bezeichnet wird.

2007 begann Mitsubishi UFJ Trust & Banking, eine Abteilung der größten Bankgruppen überhaupt, den Arbeitnehmern zu erlauben bis zu drei Stunden früher nach Hause zu gehen, um sich um die Familie zu kümmern. Doch vom Stand 5. Januar 2009 gesehen, haben bisher nur 34 von 7000 Arbeitnehmern dafür unterschrieben.

Einige Personen versuchen diese Situation komplett zu vermeiden, indem sie nur noch Kurzzeitjobs übernehmen, was für sie immer noch besser ist als beruflich von großen Firmen ausgebeutet zu werden. Auch wenn die Bezahlung nicht vergleichbar ist, sieht die Work-Life-Balance wesentlich besser aus.


Problematisierung durch andere Faktoren

Das größte Problem von „Karoshi“ ist, dass Überstunden in vielen Fällen nicht aufgezeichnet werden. Die Anzahl an Überstunden wird durch berufliche Regeln reglementiert, wodurch es zu keinen Widersprüchen bezüglich der Arbeitsregeln kommt. Darum werden die Arbeitnehmer dazu gebeten die Überstunden nicht bekannt zu machen, andernfalls würde dies als illegaler Akt behandelt werden.

Die Arbeiter selbst rationalisieren dies oft, indem sie ihre Überstunden als ein Defizit ihrer Fähigkeiten sehen. Sie denken, sie wären nicht in der Lage in der vorgeschriebenen Zeit die geforderte Arbeit zu leisten. Allgemein werden Überstunden als Bestandteil der Arbeit anerkannt, wodurch Proteste eher selten sind. Hier spielt „Seken“, also der öffentliche Blick eine wichtige Rolle als kultureller Faktor eine wichtige Rolle. Es ist wichtig, was die anderen darüber denken.

Somit kann geschlossen werden, dass die meisten Statistiken zu Überstunden nicht korrekt sind, weil diese oftmals nicht festgehalten werden. Es ist ebenfalls nicht unüblich, dass japanische Mitarbeiter bis 2 oder 3 Uhr nachts arbeiten, außerdem wird von ihnen erwartet um 9 Uhr morgens wieder am Arbeitsplatz zu erscheinen.


Darüber hinaus hat Überarbeitung eine lange Tradition in Japan. So wird von den Angestellten verlangt, dass sie sich ganz der Arbeit widmen, dafür im Gegenzug eine lebenslange Beschäftigung sicher haben. Außerdem arbeitet jeder dritte Japaner auf Basis eines befristeten Vertrags und setzt selbst unter Leistungsdruck, um diesen immer wieder zu verlängern. Auch wird es gesellschaftlich anerkannt, wenn ein Mann den Großteil seiner Zeit in der Firma, als in der Familie verbringt. Wodurch auch viele Firmen von den Männern fordern können, Überstunden zu verrichten.

1 Kommentar:

  1. Sehr brutale Zahlen und Beispiele die du hier nennst, ich weiß Japan hat auch die Idee das eine Firma wie eine Familie wirken soll, so haben auch viele Manager tatsächlich hauspantoffeln auf Arbeit.

    Der Gedanke das man gerne überstunden tut um der masse zu dienen hat wirklich etwas zynisches, aber gut, in einem kleinen Umfang haben wir sicher alle mal mehr malocht, nur bitte keine 4000 Stunden XD

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