Sonntag, 26. März 2017

Wie sinnvoll sind Kategorien wie Shoujo, Shonen, Seinen und Josei?



Versucht man Manga und Anime zu sortieren, fällt die Besonderheit auf, dass dies nicht nur nach üblichen Genres wie Action, Fantasy, Comedy, Horror, Science Fiction etc. erfolgt, sondern nach einer bestimmten geschlechts- und altersspezifischen Zielgruppenorientierung. Stiftet das Ordnung oder ist das einfach nur unnötig?

Um diese Frage soll es in diesem Beitrag gehen. Zwar unterteilen wir hier in Deutschland ebenso nach Geschlechtern und Altersgruppen. Doch in Japan ist das alles noch viel differenzierter, dort hat sich regelrecht ein zielgruppenbezogener Markt etabliert und auch thematisch wird sich sehr stark auf die Zielgruppen fokussiert.

Ich hatte es in einem Beitrag schon erwähnt, dass Manga und Anime sehr gezielt versuchen, den Rezipienten durch emotionale Beteiligung an sich zu binden. Und ein Faktor, der ebenso mit hinein spielt, ist eben der geschlechts- und altersspezifische Bezug. Es wird genau darauf geachtet, dass die Werke den Bedürfnissen einer bestimmten Geschlechts- und Altersgruppe gerecht werden.

Oftmals werden Shoujo, Shonen etc. mit Genres in einen Topf geworfen, was so nicht richtig ist. Denn bei diesen handelt es sich wie gesagt nicht um richtige Genres, ABER diese Kategorien bedingen thematische Inhalte, also bestimmte Genres, wobei sich in den letzten Jahren eine Vermischung der Genres verzeichnen lässt, wodurch die Grenzen immer mehr verschwimmen.

Shoujo- und Shonen Manga sind Spitzenreiter in Deutschland. Diese wenden sich primär an jüngere wie jugendliche Leser im Alter von 10 bis 18 Jahren, die in Japan wie in den westlichen Ländern ebenso zu den Hauptkonsumenten gehören. Doch es gibt noch viel mehr Genres für andere Altersgruppen, auf die ich ebenfalls in dem Text eingehen möchte.

• Yonen/Kodomo: Kinder Manga, für Grundschüler bis etwa 10 Jahren
• Shojo: Mangas für Mädchen von ca.10-18 Jahren
• Shonen: Mangas für Jungen von ca. 10-18 Jahren
• Lady's Comic ("Redisu"): Mangas für junge Frauen ab ca. 18 Jahren
• Seinen: Mangas für junge Männer, von ca. 18-40 Jahren52
• Seijin: Erwachsenenmangas, meist mit ernsthaften Themen
• Silver Manga: Mangas für Senioren

Es ist also tatsächlich so, dass es in Japan wirklich für jede Altersgruppe Manga gibt, sodass man sagen kann, dass Manga eben nicht nur wie hier vorwiegend von jüngeren Lesern konsumiert werden, sondern von allen Altersgruppen, wodurch Manga natürlich noch mehr akzeptiert werden, weil eben das Klischee nicht greift, dass sie angeblich nur für Kinder oder für Erwachsene gedacht sind.

Eine weitere Besonderheit in diesem Zusammenhang ist auch die Einteilung der Manga nach, sagen wir mal, sexuellen Vorlieben. So gibt es bei Shoujo Manga die Unterkategorie Shoujo Ai und Shonen Ai. Fälschlicherweise würde man denken, dass Shonen Ai auch zu den Shonen gehört, wird jedoch eher zu Shoujo gerechnet. Denn die meisten, die Boys Love lesen, sind dann doch eher weibliche Leserinnen. Bei Shoujo Ai entspricht die Zielgruppe eher männlichen Lesern, wobei ich mir nicht sicher bin, inwiefern mehr männliche als weibliche Leser diese Manga konsumieren. Wäre interessant, mal herauszufinden. Diese Kategorien, die ich nur am Rande erwähnen möchte, sind eigentlich nur dadurch gekennzeichnet, dass sie das Thema andersartige Liebesbeziehungen homosexueller und bisexueller Art behandeln, womit wir nicht nur einen Zielgruppenorientierung haben, sondern auch einen thematischen Schwerpunkt auf Liebe und Romantik.

Im Folgenden möchte ich auf diese Kategorien eingehen und die wichtigsten formalen wie inhaltlichen Merkmale beschreiben.


Kodomo/Yonen






















Ich habe mich mal etwas schlau gemacht und Kindermanga eher unter dem Begriff „Kodomo“ gefunden, die sich an Kinder vom Grundschul- bis Mittelschulalter richten. Diese sind durch starke Übertreibungen und übernatürliche Situationen gekennzeichnet, bei denen die Freundschaften immer wieder geprüft werden sollen. Die Geschichten besitzen eine Moral vergleichbar mit Fabeln, die den Kindern als Orientierungen dienen sollen. Außerdem hat die Kategorie meist eine episodenhafte Struktur, was zusätzlich Einfachheit ermöglicht. Hierzulande am bekanntesten dürften Hamtaro und Doraemon sein.


Shoujo Manga



Diese zeichnen sich durch einen besonderen Zeichenstil ab. Anders als bei Shonen Manga gibt es keine deutlichen Grenzen der Panels mehr, diese werden aufgelöst und können in allen Richtungen und Formen auf der Seite verteilt sein. Dadurch fließen sie förmlich ineinander über. Besonders auffällig sind die Symbole wie Blüten, Federn und Blätter, die zusätzlich die Seite auflockern und den Zeichnungen damit einen romantischen Effekt geben. Darüber hinaus sind Emotionen wie seelische Zustände wesentlich wichtiger als äußere Handlungen. Das wird schon durch die Panelanordnung und die symbolischen Hintergründe deutlich. Es dominieren auch Monologe wie Reflexionen, und Großaufnahmen der Gestik und Mimik der Figuren, wodurch deren Reaktionen und Gefühle noch deutlicher zum Ausdruck kommen. Eine weitere Besonderheit sind die übergroßen Augen, die im Jungen Manga dagegen nicht so häufig zu finden sind. Dadurch erhalten die Figuren noch mehr Niedlichkeit und laden zur Identifikation ein. Darüber hinaus entsprechen die Figuren den ästhetischen Idealen „Bishoujo“ und „Bishonen“, also Figuren, die äußerlich wie innerlich vollkommen und rein sind. Es wird generell thematisch auch sehr viel Wert auf die Geschichten gelegt. Besonders die Beziehungen zwischen den Figuren stehen im Vordergrund, demnach erfahren die Figuren auch eine detaillierte Gestaltung. In Shoujo Manga ist oftmals eine sexuelle Uneindeutigkeit zu erkennen, so findet man besonders hier das Thema Gender Bending, bei dem die Geschlechter ihre Rollen tauschen, oder eben Bishonen, die sehr feminine Züge tragen. Die Hauptgenres sind Fantasy, Mystery, Romantik und Reality. Diese Manga thematisieren besonders die Konflikte und Probleme des Schul- und Liebeslebens, können gleichfalls auch als Coming-of-Age-Geschichten charakterisiert werden, da es sehr viel um Persönlichkeitsentwicklung geht. Sehr stark fällt auf, dass die Unschuld der Liebesbeziehungen betont werden, sexuelle Aspekte werden meist ausgeblendet oder nur angedeutet.


Shonen



Sie gelten als Pendant zu den Shoujo Manga. Es wird nicht so sehr Wert auf eine detaillierte Darstellung der Figuren gelegt. Der Fokus liegt mehr auf Action und Kampfszenen sowie Monster und böse Mächte was zu einem dynamischen und filmartigen Zeichenstil führt, der mit Lautmalerei und Bewegungslinien unterstützt wird. Auch die Hintergründe können deutlich mehr Details besitzen als die in Mädchenmanga, was diesen Authentizität verleihen soll. Wie bei Shoujo Manga liegt eine Bandbreite verschiedener Genres vor wie Sport, Action, Abenteuer, Science Fiction, Fantasy etc. Meist vereinen sich auch Slapstick Comedy mit dramatischen und ernsten Szenen, was zunächst paradox erscheint. Oftmals verbindet man mit Shonen Manga auch klassische Entwicklungsgeschichten, in denen eine Figur durch hartes Training und schwere Kämpfe immer stärker wird und ihr Ziel erreicht. Anders als bei Shoujo Manga sind Gefühle nicht so stark präsent, es sind die äußeren Handlungen, die überwiegen. Die Figuren haben meist auch übernatürliche Kräfte und scheinen nahezu unverwundbar zu sein. Natürlich erleiden sie Schmerzen und Verletzungen, halten aber wirklich viel aus. Shonen Manga sind eher an 10-18 jährige Jungen gerichtet, werden aber ebenso von älteren Männern wie Mädchen gelesen, womit wir schon mal einen ersten Kritikpunkt an den Zielgruppenspezifik sehen. Was ich ebenso interessant fand bei meiner Recherche, dass man die Shonen Manga sogar noch einmal altersspezifisch unterteilen kann. So gibt es Manga wie Shaman King und Beyblade, die eher an jüngere gerichtet sind und dann so etwas wie Great Teacher Onizuka und Death Note, die aufgrund von sexualisierten wie auch ernsteren Aspekten mehr Jugendliche ansprechen sollen.


Ladys Comics



Diese Manga richten sich entgegen der anspruchslosen Shoujo Manga eher an junge Frauen ab 18 Jahren. In Deutschland werden auch diese denke ich eher unter dem Shoujo Label vermarktet, es sei denn, es werden auch Erwachsenenthemen behandelt, dann gehören sie unter das Adult Label. Neben Romantik, Liebe und Freundschaft wird der Arbeitsalltag sowie Heirat thematisiert. Anders als bei Shoujo Manga sind Josei Manga doch etwas realistischer und zeigen teilweise auch explizit sexuelle Szenen.


Seinen



Diese Manga richten sich als Pendant zu den Ladys Comics an junge Männer ab 18 Jahren und werden in Deutschland meist unter dem Adult Label veröffentlicht. Sie sollen aber nicht nur junge Männer ansprechen, sondern auch ältere, wodurch die Grenzen zum Erwachsenenmanga fließend sind. Sie zeichnen sich im Gegensatz zu den Shonen Manga durch kritischere und ernstere Themen und Geschichten aus, sind teilweise sehr viel düsterer und komplexer und ebenso realistischer gehalten. So kennzeichnen sie historische Themen, Thriller wie Dramen aus dem beruflichen Bereich. In Japan sind sie deutlich stärker vertreten als in Deutschland.


Seijin Manga

Hierzu habe ich bei meiner Recherche fast gar nichts wirklich gefunden, am ehesten würde wohl das Adult Label als vergleichbare Kategorie zählen. Schwerpunkt ist hier also tabuisierter Inhalt, ob nun vom sexuellen oder Gewaltaspekt her, der nur für Erwachsene geeignet ist. Hierzu zähle ich auch diverse Hentais und auch einige Seinen. Generell ist es schwierig Seinen und Seijin Manga voneinander zu unterscheiden. Das einzige Kriterium erscheint mir, dass Seinen eher jüngere Männer ansprechen sollen, was ich jedoch bereits widerlegt habe, denn die Grenzen sind doch eigentlich fließend. Wie sinnvoll ist es denn, dass man zwischen jüngeren und älteren Männern unterscheidet? Sind deren Interessen so grundverschieden oder weswegen muss man da noch mal eine Unterscheidung treffen?



Doch wie sinnvoll sind solche Kategorien im Alltag und sind sie auch notwendig?

Einerseits finde ich es gut, dass man vor allem in Japan so eine Differenzierung macht, ich meine der Grundgedanke ist lobenswert, man verfolgt ja irgendwie ein pädagogisches Ziel. Es wäre fragwürdig, wenn man Kindern brutale Manga für Erwachsene zumuten würde. Außerdem erleichtert dies bei der Masse an Manga, die täglich erscheinen, eine bessere Übersicht zu haben. Menschen brauchen einfach so etwas wie Orientierungen und meinetwegen auch deutliche Grenzen und Zuordnungskriterien. Das mag zwar manchmal einseitig werden, hilft aber ungemein um den Überblick zu behalten. So kann ich gleich anhand der Kategorien erkennen, welche Themen damit verbunden sind, wobei man sagen kann, dass eben die Genrevielfalt bei den Kategorien auch sehr breit sein kann. Man kann davon ausgehen, dass Shoujo Manga mehr im Alltag spielen, während Shonen eher die Tendenz zu fantastischem Setting haben. Es handelt sich hier also um Wahrscheinlichkeiten, die aber so nicht eintreffen müssen. Diese Kategorien sind nicht generell als allgemeingültig anzusehen, zumal man generell von Idealtypen absehen sollte. Manga sind wie andere Erzählformen eben nicht nach einem Idealtyp geformt, sondern individuell, sodass so eine Klassifikation nur eine Orientierung geben kann, aber kein festes Muster vorgibt. So könnte man sagen, dass Manga X eher in die Sparte Shonen zählt, als Shoujo, weil diese und jene Kriterien zutreffen.

Außerdem finde ich daran kritisch, dass stereotype Vorstellungen und Geschlechterklischees dahinter stecken. Mag schon möglich sein, dass Mädchen sich mehr um Gefühle und Beziehungen und Jungs sich mehr für Kämpfe interessieren. Das darf dann aber nicht dazu führen, dass Jungs diskriminiert werden, wenn sie mal einen Shoujo Manga in der Hand halten. Weil man dann automatisch damit assoziiert, dass der Junge ein Weichling ist, nur weil er sich ebenso für das Zwischenmenschliche interessiert. Ich meine, Jungs müssen nicht immer so hart sein und sich vor Emotionen verschließen. Auch im Shonen Bereich gibt es genug Beispiele, die uns zeigen, dass Männerfreundschaften ebenso herzzereißend schön sein können, teilweise noch tragischer und dramatischer und authentischer sind als in manch anderem Mädchenmanga. Genauso dürfen auch in Shoujo Manga Mädchen unabhängig und stark sein und für die Gerechtigkeit kämpfen. Was mich generell nervt ist eben so eine Verallgemeinerung. In den sagen wir mal meisten Mädchenmanga wird eher ein schwaches Selbstbild der Mädchen konstruiert, die so abhängig vom männlichen Geschlecht sind. Es gibt nur wenige Beispiele, die das widerlegen. Und genauso wird dann ein zu übermächtiges Bild von männlichen Figuren in Shonen inszeniert, wodurch eine Niederlage eine Abwertung bedeutet. In den Manga stecken einige Geschlechterklischees, die dann teilweise auch von den Lesern übernommen werden.

Besonders bei Shonen Manga fällt mir auf, dass weibliche Leser eher akzeptiert werden, als nun eben bei Shoujo Manga. Die Mehrheit der männlichen Leser werden bestimmt nicht zugeben, Mädchenmanga zu konsumieren, einfach weil es peinlich ist. Doch wer sagt nicht, dass auch Jungen Gefühle haben und sich für zwischenmenschliche Probleme interessieren? Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine.

Auch bei den altersgruppenspezifischen Kategorien lässt sich Vergleichbares sagen. Ich bin inzwischen schon über der „Zielgruppe“ der Shoujo Manga und lese diese dennoch eher als Ladys Comics. Muss ich mich deswegen als „zu alt“ dafür bezeichnen lassen? Es liegt an jedem selbst, welche Präferenzen er besitzt, man muss sich dafür nicht rechtfertigen. Wenn einem eher romantische, unschuldige Liebesbeziehungen mehr liegen, als die körperlich expliziten in Josei Manga, dann ist das Geschmackssache und hat nichts mit dem geistigen Entwicklungsstand zu tun.

Generell ist auch an dieser Klassifikation zu hinterfragen, ob sie denn auch den Wert eines Werkes nicht irgendwie in ein falsches Licht bringt. Wenn man beispielsweise sich nur auf diese Kategorien stützt und von Anfang eine bestimmte kategorisch ablehnt, ohne den Manga zu kennen, verkennt man doch seinen Wert. Nur weil man sich eben danach orientiert, ob dieser mehr für Jungen/Mädchen oder für Kinder oder Erwachsene ist. Ein Manga kann ebenso gut sein, auch wenn er vielleicht eher an Kinder gerichtet ist. Auch hier spielt wieder der Fehler der Verallgemeinerung mit hinein. Man leitet nur von der Kategorie ein bestimmtes Urteil über den Manga ab, ohne sich mit diesem zu befassen. Es sagt doch schlussendlich nichts Genaues über den Inhalt und die Qualität aus, ob ein Manga nun mehr an Jungen oder Mädchen gerichtet ist.

Kategorien und Genres, schön und gut, mir ist aber aufgefallen, dass eine wirkliche Zuordnung der Manga nicht immer funktioniert bzw. auch teilweise sehr unsinnig ist. So gibt es einige Manga, die eher als „Crossover“-Titel bezeichnet werden können. Hierzu zähle ich besonders die Werke von Clamp, wie Inuyasha oder Fushigi Yugi, wo ich jetzt nicht wirklich sagen kann, ob sie mehr Mädchen oder  Jungs ansprechen sollen. Ich finde, dass es da nicht wirklich viel Sinn ergibt, zu sagen, dass diese mehr an weibliche oder männliche Leser gerichtet sind, einfach weil es hier mehr auf die Themen und Geschichten ankommt, die eben alle Geschlechter wie auch Altersgruppen reizen können oder nicht? Darüber hinaus verschwimmen einfach die Grenzen zwischen diesen Kategorien, allein schon dadurch, dass eben nicht nur die vorgesehenen Zielgruppen die Manga lesen, was bei Shonen Manga am deutlichsten wird. Man sollte einfach mal die Geschlechterklischees, die man damit verbindet, überdenken und revidieren. Nicht alle Themen und Geschichten lassen sich eben besonders nach Geschlechtern trennen. Menschen sind so grundverschieden, selbst Mädchen und Jungen haben unterschiedliche Bedürfnisse und Interessen, dass man sie nicht in Schubladen stecken kann. Mag sein, dass es eine gewisse Tendenz zu bestimmten Themen gibt, aber das muss eben nicht für Allgemeingültigkeit sprechen.


Im Endeffekt können solche Kategorien und Genres vielleicht für den Ersteindruck hilfreich sein, sollten aber nicht alleiniger Ausschlussfaktor oder Bewertungsgrund sein. Man sollte sich jedem Manga individuell annähern und ihn als besonderes Werk erachten und danach bewerten. Sicherlich kann man Manga nach Genres vergleichen und bewerten, aber nach den genannten alters- und geschlechtsspezifischen Kriterien eher nicht.

Was meint ihr zu diesen Kategorien? Sind sie euch wichtig bei der Auswahl von Manga oder eher nicht? Findet ihr sie nützlich oder eher unsinnig?

3 Kommentare:

  1. Kategorien sind ein System von Ordnungen, das nicht eine Person speziell und konkret so eingeteilt hat, sondern das sich im Laufe der Menschheitsgeschichte in Erzählweisen der Tradition so eingeschliffen hat. Dabei müssen diese Kategorien nicht generell negativ gesehen werden, denn sie bieten für Neulinge und Erfahrene gleichermaßen gewisse Fixpunkte, anhand derer man sich orientieren kann. Damit setzen sie dem wildwuchernden, sonst nie verständlichen Chaos ein Angebot des geordneten Verstehens entgegen.

    Aufgabe des Lesers muss es dagegen sein, sich diese Traditionen und Muster bewusst zu machen, damit er mündig selbst entscheiden kann, was er damit anfängt. Sonst droht die Gefahr des Versackens in althergebrachte Role Models und Vorstellungswelten, die sich nie verändern werden. Gerade der bewusste Umgang mit den verschiedenen Formen, Genres und Kategorien vertieft das Wissen über einen besseren Umgang von uns Menschen mit dem Thema "Was sind Menschen?"

    Früher habe ich gewisse Themen mit Kusshand aufgenommen und andere von vornherein als 'unpassend' ignoriert. Wahrscheinlich kann ich nichts dafür, man wird als Mensch in die Welt hineingeboren und sozialisiert, und selbst, wenn man dann in der Schule oder Universität über Role Models und Gender diskutiert, ändert sich doch wenig am Leben, in dem man sich befindet. Andere Menschen sind so festgefahren in althergebrachten Denkmustern, dass sie von sich aus kein Bedürfnis empfinden, etwas daran zu ändern.

    Das kann man nicht nur bei Mangakategorien beobachten, sondern bei allen Themen des Lebens. Ich treffe immer wieder auf Menschen, die in einer spezifischen Szene verhaftet sind, und nie über den Tellerrand schauen. Welcher Mensch interessiert sich schon für alle Themen, die das Leben bietet? Ist das überhaupt notwendig? Und was kann man gegen die Vorurteile tun, die sich eben durch dieses Nichtbeschäftigen einschleichen? Packend und bedrohlich wird es beim Thema Politik. Da sind die Fraktionen geklärt und wer es wagt, überparteilich zu bleiben, wandert einsam auf einem Minenfeld.

    Grundsätzlich ist es so, dass sowohl Frauen wie Männer alles denken, schreiben und lesen können. Dementsprechend wird es männliche Leser geben, die Boys Love genauso gerne lesen wie weibliche Leser. Dann wiederum soll es auch unromantisch veranlagte Frauen geben, die gerne andere Themen vorziehen. Es kommt nie darauf an, wie schrill und bunt die äußere Fassade wirkt, gerade bei Cover- und Promobildern von Manga und Anime - lesen kann es jeder Mensch. Es gibt nur eine Einschränkung, nämlich die intellektuelle Entwicklung und Reife. Ein Zehnjähriger muss noch nicht unbedingt von Mord und Vergewaltigung lesen oder von expliziten Sexualpraktiken.
    [Teil 1]

    AntwortenLöschen
  2. Es könnte ihn nachhaltig in seiner Entwicklung stören, weil seine Psyche noch nicht genug entwickelt ist. Aber spätestens so ab siebzehn, achtzehn Jahren kann sich ein Mensch mit allen Themen beschäftigen - ohne dabei eine ernste, psychische Erkrankung fürchten zu müssen. Bestes Beispiel sind Let's Plays, da sind so viele Ego Shooter und emotional krasse Geschichten dabei, dass eigentlich alle Zuschauer durchdrehen müssten. Dennoch kommen alle damit zurecht, da die Reife da ist, und man über das Gesehene (oder Gelesene) reflektierend diskutieren kann.

    Aber generell sind Kategorien nur Richtwerte. Ich bin da ehrlich, vieles aus der FSK 18 Ecke ist recht langweilig, da es meist von stumpfer Gewalt und Blut lebt. Dramaturgie, Sinnlichkeit, komplexe Charaktere etc. fallen da meist durch. Hellsing Ultimate lässt bereits nach dem vierten Film deutlich nach und ergeht sich in ein Schlachtfest nach dem anderen, ohne, dass dabei der Geschichte noch etwas Wesentliches hinzugefügt würde.

    Und gerade Kinderfilme verbergen unter einer fröhlichen, oft harmlos wirkenden Oberfläche tiefgreifende Gedanken. Selbst als Miyazaki Fan habe ich 'Ponyo' und 'Totoro' eher durch Zufall gesehen, als die Filme mal im Fernsehen liefen. Dabei sind beide Filme genauso magisch und doppelbödig wie alle anderen Werke von Studio Ghibli. Oder ich erinnere mich noch an das Videospiel Ni No Kuni. Das habe ich mir damals als Let's Play angesehen, und war im Vorfeld aufgrund der Teaser Trailer auf eine fröhliche Fantasywelt eingestellt - und dann kommt da direkt am Anfang so eine emotionale Szene wie am Ende von Titanic.

    Und generell sind Filme von Hayao Miyazaki und Makoto Shinkai für mich All Age Filme, die teilweise zu vielschichtig sind, um sie stur in eine Schublade zu quetschen. Und Werke wie Akira, Neon Genesis Evangelion, Zetsuen No Tempest, Garden Of Sinners oder Guardian of the spirit (ich warte auf eine Komplettübersetzung aller Light Novels, damit ich zu jedem Teil eine Rezension schreiben kann; oder die restlichen Bücher werden wie das erste Buch als Animeserie umgesetzt - der Grund, warum ich die Serie überhaupt bemerkt hatte) sperren sich gegen simple Formen. Ich denke mal, da ist es so ähnlich wie bei der sogenannten 'Höhenkammliteratur' - es geht um die Qualität der handwerklichen Ausführung und darum, ob die Texte und Bilder in der Lage sind, unabhängig von Zeit und Raum, das Herz zu treffen und den Verstand zum Grübeln zu bringen.

    Nicht ohne Grund, schreibt die Wissenschaft Denksysteme ständig um, und nimmt neue Sondierungen vor; denn vieles, was wir sicher zu wissen glauben, steht auf wackligen Stützpfeilern. (Zumindest in der Geisteswissenschaft)

    Sehr nachdenklich macht mich zurzeit übrigens ein Buch aus dem Metzler Verlag, das ich in der Buchhandlung Jokers für etwa den halben Preis kaufen konnte (im Ernst, für den Metzler-Verlag braucht man sonst einen privaten Goldesel): "Phantastik. Ein interdisziplinäres Handbuch" ISBN: 978-3-476-02341-4; dazu werde ich in naher Zukunft mit Sicherheit eine Review auf meinem Blog schreiben. Unter anderem gefallen mir die modernen Perspektiven. Dass z.B. im systematischen Teil Begriffe wie Fandom, Labyrinth, Manierismus oder Weltuntergang von ihrem Inhalt her genauso umfangreich analysiert werden wie zum Beispiel Gesundheitspolitik. (Allein schon die ganzen Zwischenüberschriften: "Puppenkörper und Traumwesen im Surrealismus"- beim Artikel zu Femme fatale)
    [Teil 2]

    AntwortenLöschen
  3. Was hat das mit Manga und Kategorien zu tun? Ganz einfach: Daraus ergeben sich völlig neue Fragen. Zum Beispiel: Worin liegen die Schnittmengen und Unterschiede im Anime/manga-Fandom im Vergleich zum Film/Serien/Theater/Musik/Buch etc,-Fandom? Inwieweit lassen sich klassische, z.B. hermeneutische Herangehensweisen auf Manga und Anime übertragen? Sind Anime und Manga spezifisch an östliche Werte und Kultur gebunden, oder könnte man auch westliche Kultur in asiatischem Zeichenstil darstellen? Kann man östliches und westliches Theater mit dem Animestil verknüpfen? Wie ist der Bezug zur Musik und den bildenden Künsten?

    Immerhin hab ich schon gesehen, dass in Japan wohl diverse Manga und Animecharaktere oder Zeichen auf haptischen Zeichen in der Realität zu finden sind - also zum Beispiel Warteschilder mit entschuldigenden Mangagesichtern oder personalisierte Bedienungsanleitungen. Wobei das nicht mangaexklusiv ist - damals hatte ich in der gedruckten Anleitung von Lego Star War 2 C3PO als unflauschigen Erklärdroiden; und in Lego Rock Raiders und diversen anderen Videospielen kommuniziert ja auch die KI direkt mit einem. In vielen Aufbaustrategiespielen führt einen ein fiktiver Kumpel in die Spielwelt ein. Mein Favorit bleibt immer noch der Maat aus Tropico 2 mit seiner Captain Blaubär-Stimme ('ohne Moos nichts los, ohne Holz kein Bauholz' :D) Hat das einen Einfluss auf das Alltagsleben, ob jetzt meine Hausregeln von einem Asukaverschnitt empfohlen werden oder ob es einfach nur Sätze schwarz auf weiß sind? Macht es das Leben in gewisser Weise erträglicher, lebenswerter und gemütlicher? Halten sich Kinder eher an Vorgaben, wenn Pikachu, Kleinstein und co in einem Kochbuch zur gesunden Ernährung auftauchen? (Gibt es eigentlich Kochbücher mit Pokemon? Und wieso muss ich an einen Miltank-Milchshake denken? Gleich mal recherchieren … )

    Aber um noch mal den Bogen zurück zu den Kategorien zu spannen. Kann es sein, dass in der Öffentlichkeit - also im Mangashop oder der Mangaecke im Buchregal - fast nur Mangas landen, die der Sittlichkeit einer konservativen Gesellschaft entsprechen? Also alles wie Action, Krimi, Gewalt ohne starke Sexualität und Liebe ohne zu viel explizite sexuelle Anspielungen? Ich meine Yaoi, also Boys Love, ist ja dank Internet auf dem Vormarsch. Aber ich kann mich nicht erinnern, mal bewusst ein Regal mit Mangas für erwachsene Frauen gesehen zu haben. Oder ist das vielleicht in Japan - noch - zu gewagt, etwas anderes als Heirat und Hausfrauendasein in den Regalen zu präsentieren?

    Ich denke da so ähnlich wie bei 'klassischen' Büchern in der Buchhandlung. Da finden sich ja auch alle Themen, also wirklich alles. Wäre vielleicht mal spannend, festzustellen, ob Themen wie Karoshi, Nicht-reguläre Beschäftigung, Verlust von klassischen religiösen Werten oder der Wunsch nach Leben ohne Ehe (vielleicht gar ohne Kinder) bereits in Mangaform aufgegriffen werden. Und zwar nicht in der Form von: Mein altes Leben war vielleicht ein Fehler, jetzt spinnen wir ein Liebesdreieck und die weibliche Hauptfigur kommt am Ende in einem doch klassischen Beziehungsbild mit einem anderen Mann zusammen. Gibt es bisher überhaupt Überschneidungen des modernen Frauenbildes (man denke an das Manifest vom Women's March in den USA) mit Manga? Sozusagen feministische, vom Mann unabhängiges Josei? Ich meine, ich bin zwar männlich, interessieren würde es mich dennoch.

    Das waren so ein paar spontane Gedanken. Bis neulich :)

    [Teil 3 von 3; wurde bislang nicht angezeigt; falls doppelt einfach löschen]

    AntwortenLöschen