Freitag, 19. Juli 2013

[Rezension] Gefährliche Geliebte von Haruki Murakami




Seit neuestem lese ich ja sehr gerne japanische Literatur und habe mich sogleich in die Schreibweise des sehr berühmten Haruki Murakamis verliebt..





Kurz zum Inhalt:
Es geht um einen sehr erfolgreichen Mann namens Hajime, der seine Lebensgeschichte im Alter von knapp 40 Jahren erzählt. Er ist ein sehr erfolgreicher Geschäftsmann, der eigentlich alles hat, wovon jeder träumen würde:
Viel Geld aufgrund von Beziehungen zu seinem ebenso erfolgreichen Schwiegervater, eine hingebungsvolle Ehefrau, zwei liebenswürdige Kinder und den Traumberuf - Barbesitzer - schlechthin.
Doch scheint sein Leben nicht komplett zu sein, schon seit seiner Kindheit sehnt er sich nur nach der einen: Nach Shimamoto, seiner Kindheitsfreundin und Jugendliebe, die er sein Leben nach nie vergessen konnte. Als Shimamoto ihn dann eines Tages in seiner Bar trifft, setzt er alles aufs Spiel, selbst seine Familie und seinen Job, um mit ihr zusammen sein zu können... Um diese besondere Liebesbeziehung geht es auch grundlegend in dem recht kurzen 200-seitigen Roman von Murakami.

Zu Beginn erzählt der erwachsene Hajime von seiner Kindheit, die er nie so recht genießen konnte, da er als Einzelkind, was in seiner früheren Zeit eher eine Seltenheit darstellte, geboren war. Seitdem entwickelte Hajime starke Minderwertigkeitskomplexe und empfand sich selbst als unvollendet und mit Fehlern behaftet. Alles ändert sich als er die gleichaltrige Shimamoto kennen lernt, die ebenso Einzelkind ist und sich von den restlichen Kindern aufgrund ihrer Unnahbarkeit und Reife unterschied. Die beiden fühlen sich von Anfang an stark zueinander hingezogen, können damit aber nicht recht umgehen, da sie ja noch Kinder sind.
Ihre Beziehung zueinander wird als sehr besonders beschrieben, die Hajime sein ganzes Lebens beeinflusst.

Später trennen sich leider die Wege, Hajime verändert sich grundlegend während er zu einem stattlichen, gut aussehenden Jugendlichen heranwächst. Er lässt das schwächliche Kind in sich zurück und beginnt ein neuen Lebensabschnitt, welcher allerdings nicht immer von Glück, sondern vielmehr von tragischen Zwischenfällen und Sehnsucht nach Shimamoto geprägt ist. So geht er auch viele Liebschaften ein, bis er eines Tage seine jetzige Ehefrau Yukiko kennen und lieben lernt, die er schließlich heiratet und mit der er zwei Töchter bekommt.

Alles schön und gut, wenn nicht das unsagbare schwermütige Gefühl wäre, nicht vollständig zu sein und nach Vervollkommnung zu streben, in dem die unerreichbare Geliebte idealisiert und in sich aufgenommen wird. Das ist ein großes Problem, welches Murakami in diesem Roman thematisiert. Natürlich auch der Zwiespalt, den Hajime fühlt aufgrund der Diskrepanz zwischen seinen Gefühlen zu Shimamoto und seinem jetzigen idyllischen Familienleben, weswegen er sehr hin und her gerissen ist.


Erzählweise und Besonderheit:

Einfühlsam werden hier die Gedanken und Gefühle von Hajme an den Leser vermittelt, der sich sehr gut in diesen hinein versetzen kann, doch auch die Widersprüchlichkeit seiner Persönlichkeit erblicken kann. Seine Handlungen sind verständlich und doch fühlte ich mich teilweise etwas abgestoßen, da sein Verhalten teilweise von Rationalität und doch wieder von Irrationalismus gelenkt wurde. Dabei konnte man auch eine sehr gute Charakterentwicklung durch das Reflektieren von der Vergangenheit des Protagonisten erfahren, was der Figur eine gewisse Tiefe verleiht. Man wird praktisch in seine Welt mit hinein gerissen, wird gefesselt und kann sich schwer davon losreißen.


Erotik:
An vielen Stellen nimmt der Autor eine sehr erotisierende Schreibweise an, welche ein prickelndes Gefühl besonders bei weiblichen Lesern auslöst, ohne allzu vulgär zu sein. Daher auf keinen Fall ein Lektüre für Jüngere selbstverständlich, sondern besonders für Erwachsene.

Charaktere:
Wieder einmal wird deutlich, dass Murakami bestimmte typische Figuren, die jedoch tiefgründig sind, heranzieht: Außenseiter der Gesellschaft, die in sich gekehrt in ihrer eigenen Gefühlswelt leben, eine Vorliebe für gute Bücher und Musik haben, sich nach etwas Unerreichbaren sehnen und zum Schluss daran scheitern. Obwohl Hajime sich natürlich im Laufe seines Lebens weiterentwickelt hat, gewisse Reife als Erwachsener zeigt, merkt man wie impulsiv seine Triebe ihn beherrschen und er nicht viel dagegen tun kann, außer sich ihnen hinzugeben. Ich finde es schon mal bemerkenswert, wie gewissenhaft er an sein Problem herangeht, er zeigt sich einfühlsam und vernünftig, möchte sein Familienglück bewahren, aber denkt im Endeffekt gar nicht so wirklich an die Gefühle der anderen z.B. seiner Frau.

Er vertuscht die Wahrheit, offenbart sich ihr nicht, auch wenn es verständlich ist, da die Wahrheit den Ehepartner sehr verletzen würde. Andererseits scheint eine Lüge nicht unbedingt besser zu sein, im Gegenteil sie wird immer aufgedeckt und als Verrat angesehen.
Hajime wird mit seinen positiven wie auch negativen Charaktereigenschaften gut charakterisiert und wird für den Leser fassbar. Er verwandelt sich für seine Wünsche und Begierden von einem gewissenhaften, vernünftigen Mann in einen egoistischen, der nicht davor scheut damit andere Menschen zu verletzen. Eine sehr traurige Wahrheit aus unserer eigenen Realität. Man wird unweigerlich angeregt, mit sich selbst ins Gericht zu gehen und sich zu fragen, wie man selbst dazu stehen und handeln würde. Es wäre keine leichte Entscheidung, nehme ich an.


Meinung zum Konflikt von Hajime:
Ich fand es teilweise sehr unverständlich, weswegen er seiner alten Liebe so nachtrauerte...Natürlich konnte ich schon irgendwie nachvollziehen, weswegen sie so besonders für ihn war. Aufgrund einer gewissen Seelenverwandtschaft und einer Offenheit, die er nur ihr zeigen konnte. Aber ich meine, es sind inzwischen mehr als 20 Jahre her, seit sich die beiden dann wieder begegnen und als er sie wieder trifft, scheint sie wie verändert und ein wandelndes Mysterium. Zwischen ihrer letzten Begegnung hat sich vieles in ihrem Leben und an ihrem Wesen geändert und vielleicht zeugt es gerade daher von Seelenverwandtschaft, wenn sie sich dennoch so zueinander hingezogen fühlen.

Aber mal ehrlich, dafür alles auszugeben, hielt ich persönlich für übertrieben. Er hat liebt schließlich seine Familie über alles, aber scheinbar nicht im entferntesten wie Shimamoto. Aber wenn man bedenkt, wie viele Jahre er mit seiner Ehefrau Yukiko verbracht hat. Und Yukiko zeigt sich als vorbildliche Mutter sowie Ehefrau, die Hajime stets unterstützen möchte und sofort merkt, wenn etwas bei ihm nicht stimmt....Genug davon, es bringt ja nichts darüber weiter zu diskutieren.

Für andere mag es ebenso unverständlich sein, aber wenn wir ehrlich sind, können wir unsere erste Liebe eben auch niemals vergessen und alte Liebe rostet nicht. Doch die Liebe die Hajime für Shimamoto empfand gehört doch eigentlich der Vergangenheit an und sie eventuell auch, ein Zeichen dafür, dass er die Vergangenheit nicht loslassen und daher sein jetziges Leben nicht genießen kann. Ständig vergleicht er jegliche neue Liebschaft und Frau mit seiner perfekten Shimamoto, die über die Jahre hinweg immer idealisiert sieht, als die perfekte Liebe, an die keine herankommt selbst seine Ehefrau nicht. Doch ist nicht fragwürdig, ob diese perfekte Frau auch wirklich immer noch perfekt ist? Das wird nie so wirklich geklärt, genauso wenig wie die Vergangenheit von Shimamoto und ihr jetziges Leben. 


Schreibstil:
Auf jedenfall hat mich der sehr schöne Schreibstil in eine Welt der wunderbaren Poesie entführt und ich fand es ausgesprochen schön, wie sehr der Autor in die Psyche des Protagonisten vorgedrungen ist und wie ausführlich und auf wunderbare Weise er alles beschreiben konnte. Der innere Kampf von Hajime wurde sehr kunstvoll dargelegt, was einen bleibenden Eindruck auf mich hinterlassen hat.


Themen:
Ich habe ja bereits wichtige Themen in dem Roman angesprochen, hin zu kommen eben die eigene Identitätssuche, was sich besonders im Übergang von Kindheit und Jugend widerspiegelt. Natürlich im Erwachsenenalter der Konflikt bei der Entscheidung zwischen Rationalität (Ehe und Familie würde ich so auffassen in diesem Roman) und Irrationalismus/Muße (die Geliebte und Sehnsucht nach ihr), welches einen Menschen von Grund auf zerreißen kann. Schließlich scheint schon nach vielen Jahrzehnten die erste Begegnung entscheidend für das Schwanken der eigenen Lebensgrundlage zu sein, welche man sich über viele Jahre hinweg aufgebaut hat. Verständlich, wenn man auf einmal die Sache vor Augen hat, nach der man sich einzig und allein sein Leben lang gesehnt hat. 

Es ist unter anderem auch dieser Wahn, in den Hajime versinkt, um seine eigene Unvollkommenheit durch seine idealisierte Liebe zu kompensieren, weswegen er sie als den Teil in seinem Leben braucht, um es vollständig werden zu lassen. Nicht umsonst erwähnt er so oft, dass etwas Wichtiges fehlt, er sich unvollständig fühlt. Shimamoto ist das letzte Puzzle teil zu seinem Glück und eventuell das einzige. Als die Geliebte am Ende dann vom Erdboden verschwunden ist, bleibt dann die Frage, ob sie jemals wirklich in Hajimes Leben getreten ist, er nicht eventuell nur ein Geist gesehen hat, verrückt vor Sehnsucht war.

Alle Geheimnisse rund um Shimamoto bleiben verborgen und es liegt beim Rezipienten sich selbst etwas zusammen zu reimen. Eine Sache, die teilweise bei Murakamis Werken stören mag, aber doch einen gewissen Reiz haben. Wenn Geheimnisse gelüftet werden wie bei Magie, macht es das Ganze nicht weniger reizvoll? Wäre es nicht besser, diese Geheimnisse zu wahren, sonst würde ihr "Zauber" verloren gehen?

Festzuhalten wäre, dass dieser Roman sich vor allem der Psyche und den Konflikten, die ein einzelner mit sich trägt, widmet und daher weniger auf Spannung oder Action oder viel Handlung Schwerpunkt legt. Denn um ehrlich zu sein, viel passieren tut nichts. Wir erfahren etwas über Hajimes Vergangenheit, was etwa die Hälfte des Romans ausmacht und dann kommt schon die Begegnung mit Shimamoto und die Zerrissenheit von Hajime. Mehr ist da nicht. Warum war dann der Roman doch so fesselnd? Natürlich lag es einerseits am Sprachstil und der Poesie, die mit den Worten mit schwang. An dem inneren Konflikt von Hajime, der einen wirklich mitfühlen ließ. Und schlussendlich die Reise in die Vergangenheit und eben die vielen angesprochenen Themen.

Das Ende:
Obwohl der Roman so unglaublich kurz aussieht wegen den 200 Seiten Umfang, wurde sehr viel gut hin eingepackt. Auch wenn ich viel Lob gegenüber dem Roman hervorgebracht habe, enttäuschte mich das Ende sehr. Teilweise, weil man sich dachte, warum dieser ganze Zirkus wenn die Geliebte als Unruhestifter einfach weg ist. Teilweise auch, weil man gerne mehr über sie erfahren hätte. Aber auch, weil im Endeffekt das Ende zwar schon nach einem Happy-End aussah, aber nicht so wirklich befriedigen konnte. Ich kann nicht genau beschreiben weswegen, aber das Ende hätte anders sein sollen. 


Fazit:
Ich gebe dem Buch daher insgesamt 8 von 10 Punkte, da der Roman mich durch den tollen Sprachstil, die poetischen Schilderungen und dem sehr einfühlsamen Blick in die Seele des Menschens sehr berühren konnte.

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