Der
Handyroman ist ein neues Genres, was einerseits fesselt, aber auch
provoziert. Drogen, Liebe, Sex und Schwangerschaft - Unterhaltung pur oder auch eine wertvolle literarische Form?
Geschichte
Schon
im Jahr 2000 entstanden die ersten Handyromane u.. die Story einer
jugendlichen Prostituierten unter dem Namen „Ayu no Monogatari“
(der erste Teil der Reihe „Deep Love“ und wurde schnell zu einem
Bestseller. Der Autor der Geschichte, ein junger Mann aus Tokio, der
sich al Yoshi bezeichnet, verteilte zu der Zeit in Shibuya für als
Marketing tausende Visitenkarten an Schulmädchen und erstellte auch
seine eigene Homepage, übner die er den Roman vertrieb. Auch diese
gelangte zu großer Bekanntheit. „Deep Love“ wurde dann durch
Mundpropaganda zu einem Trend, woraus ein Film, eine Fernsehserie und
ein Manga resultierten. Als klassische Printausgabe wurde das Buch
2,7 Millionen Mal verkauft. I der Buchvariante wurde die über Handy
etablierte Leserichtung von links nach rechts auch übernommen,
wodurch die japanische Leserichtung gedruckter Texte von oben nach
unten umgeworfen wurde. Diese horizontale Leserichtung“ (yokogumi)
wurde dann auch für alle nachfolgenden Handyroman-Printwerke
übertragen und gilt ebenso als Besonderheit des Handyromans.
Diese
literarische Gattung ist um das Jahr 2000 herum entstanden und eng
mit der in Japan sehr hochentwickelten Handykultur und der
Verbreitung des mobilen Internets verbunden. Diese Romane lesen sich
nur auf einem kleinen Handy-Display, werden auf dem Weg zur Schule
oder Arbeit konsumiert. Weiterhin besonders ist, dass sie meist auch
auf dem Handy entstehen. Der Großteil wird von jungen oft anonym
bleibenden Autorinnen an weibliche Leser verfasst, was aber männliche
Rezipienten nicht ausschließt.
Merkmale,
Themen und Sprache
Die
Romane werden ausschließlich für Handys verfügbar gemacht, bevor
sie dann auch im Printformat veröffentlicht werden.
Handyromane
sind wie man vom Namen her sich denken kann Lesestoff für das Handy.
Zum Großteil behandeln sie Geschichten mit plakativen und
provokativen Themen wie Liebesgeschichten, Prostitution,
Suizidversuchen.
Aufgrund
der technischen Bedingungen ist auch die Sprache sehr einfach
gehalten. Dominant sind knappe, simple Sätze sowie
umgangssprachliche Formulierungen. Dialoge und Monologe sind
dominierend in der Gestaltung, eine knappe und präzise Sprache und
temporeiche Plots sind Besonderheiten.
Hoch
literarische und umfangreiche Szenenschilderungen sucht man
vergeblich. Literaturwissenschaftler würden sich wohl an den Kopf
fassen. Das ist sowieso eine Sache mit der Literaturwissenschaft und
neuen Genres und Literaturformen wie der digitalen Literatur. An sich
sind solche Erfindungen wünschenswert, sie bringen frischen Wind und
sind als Experimente höchst interessant. Aber nach wie vor hängt
diese Wissenschaft an alten Traditionen und kann sich nur schwer mit
neuen Dingen anfreunden. Darum gibt es hierzulande auch leider wenig
wissenschaftliche Publikationen, die sich mit Handyromanen
beschäftigen.
Die
Kapitel sind recht knapp, sodass sie für den schnellen Konsum und
für Leseunterbrechungen geeignet sind. Damit die Worte noch mehr
Eindruck hinterlassen, verwenden Autoren Smileys oder Emoticons, wie
man es auch aus SMS und Whatsapp inzwischen kennt. Da ja auf einem
elektronischen Gerät gelesen wird, gibt es zusätzlich auch die
Möglichkeit Spannung und Abwechslung durch Musik, Videos und Fotos
zu erzeugen („Enriched Books“).
Anfangs
umfasste die Zielgruppe junge Mädchen und junge Frauen in ihren
Zwanzigern. Mittlerweile hat sich aber die Leserschaft stark
ausgedehnt, sodass auch Handyromane für männliche Jugendliche wie
Erwachsene erschienen sind. Der Handyroman wird auf dem Handy
gespeichert und kann so überall und zu jeder Zeit abgerufen und
konsumiert werden.
Verbreitung
Der
Handyroman wird entweder komplett zur Verfügung gestellt oder
erscheint als Fortsetzungsroman mit einer schon festgelegten Anzahl
an Folgen. Es gibt sie entweder kostenfrei oder kostenpflichtig. Die
kostenlosen werden über private Handyseiten betrieben. Die größte
japanische Handyplattform, die neben Blog und Tagebuch auch das
Erstellen einer Handyroman-Seite ermöglicht, heißt „Magic I-sland
(Maho no I-rando). Die Seite soll nach eigenen Angaben über 1
Million Handyromane umfassen. Die kostenpflichtigen Romane dagegen
bedürfen nur eines niedrigen Preises und werden über kommerzielle
Handyseiten von Verlagen bereit gestellt wie die Seite Shincho
ketai bunko („Die Shincho Handy-Kollektion“) des Verlags
Shinchosha. Ein normaler Roman ist meist in kleinere
Abschnitte unterteilt, die sich innerhalb von wenigen Minuten lesen
lassen. Möglich ist es die Romane zu kommentieren und dadurch die
Handlung zu beeinflussen. Durch Mundpropaganda wurde dieses
literarische Genre schnell zu einem Hit. Doch damit ist nicht
gemeint, dass man über die Stories geredet hat, sondern sich eher
Handy-Mitteilungen mit entsprechenden Links zu den Romanen geschickt
hatte.
Handyromane
als Printveröffentlichungen
2007
|
Titel
|
Autor
|
Verlag
|
---|---|---|---|
1
|
Koizora
|
Mika
|
Starts
Publishing
|
2
|
Akai
ito
|
Mei
|
Goma
Books
|
3
|
Kimizora
|
Mika
|
Starts
Publishing
|
4
|
Isshun
no kaze ni nare
|
Takako
Satō
|
Kōdansha
|
5
|
Moshimo
kimi ga
|
Rin
|
Goma
Books
|
6
|
Motomenai
|
Shōzō
Kajima
|
Shōgakukan
|
7
|
Jun’ai
|
Haruka
Inamori
|
Starts
Publishing
|
8
|
Kage
Hinata ni saku
|
Hitori
Gekidan
|
Gentōsha
|
9
|
Yoake
no Machi de
|
Keigo
Hogashino
|
Kadokawa
Shoten
|
10
|
Rakuen
|
Miyuki
Miyabe
|
Bungei
Shunjū
|
Die
fünft der meistverkauften Romane im Jahr 2007 waren in Japan
Handyromane. Das ist schon erstaunlich, dass eine solche reißerische
Literatur es auf die Bestseller-Liste geschafft hat. Koizora
der Autorin Mika erlangte mit 12 Millionen Lesern den ersten Platz.
Von diesen erwähnten Werken wurden 400 000 Exemplare verkauft. Der
Handyroman-Markt hat insgesamt über 60 Millionen Euro eingenommen.
Auch erstaunlich ist, dass einige Handyromane sogar literarische
Preise gewonnen haben, obwohl das Genre gerne als trivial und von
schlechter Qualität bezeichnet wird. Einer dieser Romane wurde von
einer 27-jährigen Autorin aus Osaka mit dem Pseudonym Towa
veröffentlicht. Das Werk erzählt von der Liebesgeschichte zwischen
der Studentin Sakura, die mit Prostitution ihr Konsumverlangen stillt
und sich ihren Callboy „Leo“ finanziert. Towa wurde dafür von
der Tageszeitung Mainichi Shimbun ausgezeichnet und ihr Werk wurde
ebenso gedruckt.
Mit
Ausnahme von „Deep Love“ wurden fast alle Handyromane der
Bestsellerliste 2007 von jungen unerfahren Autorinnen geschrieben.
Darum wird diese Phase auch als „2. Boom-Phjase“ von Yoshis „Deep
Love“ unterschieden. Mittlerweile haben sich verschiedenen Typen
heraus kristallisiert. So hat die Frauenärztin Nahomi Sudo mit ihrem
Werk „Love Communication“ einen Sexualratgeber in Form eines
Handyromans herausgebracht. Auch Personen wie Yukinori Otaniwagen mit
dem Handroman den Versuch als Autor zu debütieren. Weiterhin trauen
sich auch japanische renommierte Schriftsteller ans Schreiben von
Handromanen: eines der bekanntesten Beispiele ist „Tomorrow´s
Rainbow“ der Junbungaku-Autorin und buddhistischen Nonne Jakucho
Setouchi.
Größere
Verlage in Japan nutzen diesen Boom um Handyromane um Gewinne zu
erzielen. Darum werden Handyroman-Wettbewerbe veranstaltet um
Nachwuchsautoren zu fördern. Mittlerweile werden auch Klassiker der
japanischen Literatur wie Osamu Dazai oder Natsume Soseki im
Handyroman-Format neu aufgelegt, also in horizontaler Leserichtung
veröffentlicht.
Rezeption
und Kritik
Der
Handyroman ist ein besonderes Literaturgenre, das aus Handys
resultierte. In Japan ist es längst schon ein weit verbreitetes
Phänomen, während der Westen bisher kaum davon Wind bekommen hat.
In
Japan werden solche Handromane unter zwei verschiedenen
Gesichtspunkten besprochen. Einerseits geht es um die Kommunikation
zwischen jungen Mädchen und andererseits um das neue literarische
Phänomen selbst.
Mit
ersteren ist gemeint, dass die Geschichte keine gewöhnlichen Romane
sind, sondern den jungen Autorinnen dazu dienen über ihre
Erfahrungen zu reflektieren und mit Gleichgesinnten sich
auszutauschen. So beschreibt die Medienwissenschaftlerin Misa Matsuda
Handyromane als „interaktives Medium“, denn es besteht ein enger
Kontakt zwischen Autorin und Leserinnen. Die Leser können nämlich
kommentieren und bewerten und so selbst bestimmen, wie die Handlungen
verlaufen. Außerdem sehen weitere Wissenschaftler in Handyromanen
wichtige Anregungen der Lebenswelt junger Mädchen. Insofern sind die
so trivialen Handyromane durchaus wichtig für psychologische und
soziologische Untersuchungen.
Doch
meist werden Handromane eher abschätzig behandelt. Als junges Genres
wird es mit Manga, Anime als eine popkulturelle Erscheinung
abgewertet. Doch auf der anderen Seite wird die neue Gattung als
wertvoll angesehen um auch neue Leser für die Literatur zu gewinnen.
Weiterhin
trifft die neue Literaturform auf andere Kritik. So befassen sich
viele Handyromane mit Themen, die sonst weniger offen in der
Wirklichkeit behandelt werden wie Mobbing, Schwangerschaften
Minderjähriger und Abtreibung. Negativ ist auch, dass eher
umgangssprachliches Japanisch verwendet. So finden sich falsch
geschriebene Wörter und grammatikalische Formen wieder. Außerdem
befürchten einige Kritiker, dass das Lesen zu einer Handy-Sucht
führen könnte. Natürlich zeigt dies, dass man besonders bei einem
Medium für eine junge Zielgruppe viel Angriffs- und
Diskussionsfläche erwarten kann.
Japan
scheint der Vorreiter der Handyromane zu sein. So sollen Handyromane
auch ein wichtiger Teil der japanischen Lesekultur sein. Autoren wie
Leser sind meist jung, technikbegeistert und meist weiblich. Die
Japanologin Johanna Mauermann sieht in Handyromanen die Verbindung
von Literatur, Jugendkultur und neuen medientechnischen Trends. Doch
den großen Boom erlebten sie vor allem 2007, als viele Handyromane
die Bestseller-Listen stürmten. Mittlerweile ist der Trubel um die
Romane zurück gegangen, dennoch sind sie als wichtiger Teil der
Netzliteratur (Literatur, für das Internet, aber auch digitalisierte
Literatur) immer noch beliebt. Mittlerweile kann man ja nicht nur
über Handys, sondern über Smartphones und E-Book-Readern Bücher
lesen und damit ist man nicht mehr auf kleine Bildschirmgrößen
beschränkt.
Nach
Oliver Bendel gibt es Ähnlichkeiten zwischen Handyromanen und
Haikus. Haikus sind japanische Kurzgedichte mit maximal 17 Silben,
somit unterliegen sie also formalen Beschränkungen wie auch die
Handyromane, die zu ihren Anfangszeiten, ebenso durch bestimmte
Zeichenlängen begrenzt waren.
Handyromane
in Deutschland
Zwar
gibt es durchaus auch in Deutschland einige wenige Exemplare, doch so
wirklich angekommen ist der Trend hier nicht. Der bekannteste
deutschsprachige Autor von Handyromanen ist der
Wirtschaftsinformativer und Autor Oliver Bendel aus Zürich. Sein
erstes digitales Buch „Lucy Luder und der Mord im studiVZ“ wurde
2007 heraus gebracht. Doch dabei blieb es nicht, weitere Werke
folgten, wie „Handy Girl“ und „lonelyboy18“, die sich
besonders an junge Leser richtet. Darüber hinauat hat auch der
bekannte Autor Wolfgang Hohlbein 2009 einen Handyroman mit dem Titel
WYRM publiziert. Im Juni 2012 erstellte die Autorin Heike
Fröhling ein Portal für aktuelle Handromane. Auch sie hat eigene
Handyromane geschrieben und betont die Interaktivität von
Handyromanen, mit denen man auch Schüler zum Lesen und Schreiben
motivieren kann.
Vergleichbar
mit Japan sind in Deutschland auch Plattformen für Netzliteratur
entstanden, auf denen Autoren Texte veröffentlichen und austauschen
können. Nach Johanna Mauermann und Oliver Bendel können solche
Werke einerseits hochwertig, aber auch „Sprachmüll“ sein. Für
sie sei die Literatur von unten interaktiv. Man arbeitet mit anderen
zusammen, wodurch dann auch der Autor verblassen kann. Diese
Literatur ist gekennzeichnet dadurch, dass man liest, sie kommentiert
und sich gegenseitig bewertet.
Meine Meinung
Ich
bin von diesem Phänomen sehr fasziniert. So sehr, dass ich darüber
nachgedacht habe, sogar meine Master-Arbeit darüber zu verfassen.
Wie ich aber leider schon erwähnt habe, ist das literarische Genre
bisher in Deutschland kaum verbreitet und dementsprechend auch
wissenschaftlich eher unerforscht. Das wäre zwar auch ein Vorteil,
da ich dann umso mehr zu neuen Erkenntnissen kommen würde, aber
viele Vermutungen nicht mit Forschungsliteratur belegen kann.
Persönlich
interessiert mich diese Art von Netzliteratur sehr, auch wenn ich
ebenso wie die Rezeption der Ansicht bin, dass es positive wie
negative Aspekte mit sich bringt. Positiv finde ich, dass man daran
erkennt, wie sich Literatur durch Internet und andere Medien
verändert und alles ineinander greift. Darüber hinaus auch, dass
Autor und Leser gemeinsam sozusagen an einem Handyroman arbeiten und
dadurch eben die Leser aktiver und produktiver sein können. Die
Einfachheit der Handyromane mag zwar vielleicht abgewertet werden,
ich sehe darin auch das große Potenzial, dass dafür eben mehr Leser
gewonnen werden und vielleicht auch angeregt werden, eigene
Geschichten zu schreiben. Außerdem bieten diese Geschichte auch
interessante Einblicke in die japanische Pop- und Jugendkultur und in
die Psyche junger Mädchen und Frauen. Natürlich sind solche Werke
auch spannend und leicht zu konsumieren, weswegen ich erstaunt bin,
dass Handyromane hierzulande kaum beachtet werden.
Das
führt mich auch zu der nächsten Frage, weswegen gerade der
Handyroman-Markt in Japan so boomt. Ein Grund ist natürlich, dass
die Handys in Japan einfach viel länger etabliert sind und mobiles
Internet schon sehr früh entwickelt wurde. Außerdem sind, denke ich
mal, die meisten Japaner technisch erfahren und können ein Leben
ohne Handy gar nicht mehr bewältigen. Klar das trifft auch auf den
Rest der Welt zu, aber in Japan war das früher schon sehr stark.
Darüber hinaus verstärkt sich damit auch der Aspekt, dass Japaner
länger am Handy verweilen, viel mehr Nachrichten schreiben und
dadurch eher Handyromane schreiben als vielleicht wir Deutschen. Wie
auch Manga lassen sich Handromane schnell mal zwischendurch
konsumieren. Das ist in dem hektischen japanischen Alltag, in dem man
sich nach Pausen und Entspannung sehnt, einfach überaus passend. So
kann man immer beim Pendeln mal kurz abtauchen. Das wären soweit die
Gründe, die mir einfallen, weswegen Handyromane gerade in Japan
beliebt sind.
Auch
wenn die Literatur speziell nur für Handys gemacht wurde und
dementsprechend sich Stil, Sprache und Struktur der Handyromane stark
daran anpassen, spricht ja nichts dagegen auch komplexere Themen und
Geschichten aufs Handy zu bringen. Auch japanische Klassiker haben
ihren Weg auf den kleinen Bildschirm gefunden und mittlerweile kann
man auch digitale Literatur nicht nur auf Handys, sondern
Smartphones, Tablets und E-Reader lesen. Nicht nur für
Laien-Autoren, sondern auch etablierte Schriftsteller stellen
Handyromane ein tolles Experimentierfeld dar.
Was
haltet ihr von Handyromanen? Habt ihr schon mal etwas davon
mitbekommen und wenn ja habt ihr solche Geschichten schon einmal
gelesen? Welche Vor- und Nachteile seht ihr in diesem literarischen
Genre?
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