Sonntag, 1. November 2015

"Slice of Life"- Manga vom feinsten


Viel zu oft wird dem Medium Manga (sowie auch Anime) vorgeworfen, dass es an Realismus, Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit mangelt. Das kann man den Leuten, die sich darüber aufregen nicht gerade verübeln. Tatsächlich leben Manga von Überzeichnung und gerade unrealistischen Settings sowie Plots, was meiner Ansicht nach sowohl Stärke als auch Schwäche sein kann. Doch abseits der typischen Mainstream-Manga, die sich gerne Klischees bedienen und dadurch noch unglaubwürdiger daher kommen, gibt es eine kleine Gruppe von realistischen Manga, mit denen ich mich heute befassen möchte...

Was genau meint denn eigentlich das Adjektiv „realistisch“?
Laut dem Duden gibt es dafür mehrere Definitionen. Einerseits wird damit verdeutlicht, dass etwas der Wirklichkeit entspricht, lebensecht und wirklichkeitsnah ist. Andererseits ist damit auch eine sachlich-nüchterne Art ohne Illusion verbunden. Die zweite Definition weicht von der ersteren nicht unbedingt stark ab. Realistisch meint vor allem den Realismus betreffend.

Wenn wir also etwas als realistisch ansehen, dann darf dies nicht unserer Vorstellung von Realität widersprechen. Doch Manga und besonders Anime verstoßen regelmäßig gegen die Gesetzlichkeiten der Realität. Das fängt schon beim Zeichenstil und einigen seltsamen Proportionen (*hust* Kuheuter! Hust) an und geht über zu Plots, bei denen kleine Kinder riesige Mechas steuern müssen, unattraktive Kerle haufenweise hübsche Mädchen abschleppen, stinknormale Mädchen den Märchenprinz abbekommen können. Ganz zu schweigen vom Genre „Shonen“, das geradezu davon lebt, dass man Abstand von der Realität nimmt. Sonst kann man solche Vertreter gar nicht erst ernst nehmen. Doch stellt sich mir die Fragen: Wollen Manga/Anime ernst genommen werden? Gerade diese Medien tendieren dazu uns von der Realität entfernen zu wollen, mehr als jedes andere Medium. Und doch würde ich behaupten, dass Anime da noch einen ticken krasser sind als Manga. Anime eignen sich aufgrund ihrer besonderen Darstellungsart für absurde, unrealistische Settings und Geschichten, während bei Manga auch öfter mal realistisch-anmutende Werke heraus kommen können. Auf einige Beispiele möchte ich heute näher eingehen.

LIFE


Einer der ersten, sagen wir mal, realistischeren Manga, die ich gelesen habe. Der Manga beginnt eigentlich recht langweilig, aber ebenso doch ziemlich glaubwürdig. Die Heldin Ayumu befindet sich am Ende ihrer Mittelstufe und büffelt dementsprechend sehr hart für die anstehenden Highschool-Aufnahmeprüfungen. Glücklicherweise bekommt sie von ihrer besten Freundin Unterstützung. Insgeheim sehnt sie sich danach die gleiche Highschool wie ihre beste Freundin zu besuchen, was sie nur noch mehr anspornt. Anfangs glaubt man, dass sie es nicht schafft, aber sie steigert sich so sehr hinein, dass sie tatsächlich die Prüfung besteht. Voller Freude möchte sie dies mit ihrer zweiten Hälfte feiern, doch diese ist nicht gerade angetan davon. Schon während des Lernens wird Shii-chan, so ihr Spitzname, immer depressiver, weil ihre Leistungen abnehmen. Kein Wunder, dass sie sich für Ayumu nicht so wirklich freuen kann. Während Ayumu also denkt, dass Shii-chan sich für sie freut, ist letztere ziemlich neidisch auf sie. Die Freundschaft wird gänzlich zerstört, als Ayumu als einzige auf die Highschool gehen kann, aber ihre beste Freundin nicht. Diese wendet sich hasserfüllt von der Protagonistin ab, wodurch sie ihre einzige Hoffnung verloren hat.

Danach fällt Ayumu in ein tiefes Loch und beginnt sich selbst mit scharfen Gegenständen zu verletzen. Starke Schuldgefühle plagen sie und erschweren ihr ebenfalls den Anfang an der Highschool. Glücklicherweise trifft sie dort gleich Manami, ein aufgewecktes, fröhliches und beliebtes Mädchen, das sich mit Ayumu sofort anfreundet. Die Welt erscheint in neuem Licht, so sieht es anfangs aus. Doch dann erfährt Ayumu etwas Schlimmeres über den Freund von Manami, Missverständnisse reihen sich aneinander, was schlussendlich dazu führt, dass sie sich Manami und ihre Clique zu Feinden macht. Eine höllische Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes, beginnt für Ayumu, die gefangen ist zwischen Borderline-Syndrom, Mobbing und anderen grausamen Dingen...

Wie ihr lesen könnt, spielt sich also das ganze in der Highschool ab, wodurch schon mal ein glaubwürdiges Setting für die angesprochenen Themen aufgebaut wird. Was mich an diesem Manga besonders fasziniert hatte, war, dass sich die Zeichnerin traute, einfühlsam und eindringlich Tabu-Themen darzustellen, ohne irgendwie mit Zeigefinger zu verurteilen. Wir erleben die Geschichte fast durchgängig aus Sicht von Ayumu, die anfangs noch ein normales und unschuldiges Mädchen wird, was zunehmend gebrochen wird. Eigentlich kann man es fast nicht glauben, was ihr alles zustößt. Obschon viel Realismus mit rein spielt, wirken einige Dinge doch konstruiert, um möglichst viel Drama heraus zu holen. So viele schlimme Dinge können doch niemanden wirklich passieren nicht wahr? Ayumu schon. Nicht nur muss sie mich sich selbst und ihrer psychischen Krankheit kämpfen, auch ihre Umwelt bereitet ihr massive Probleme.

Mobbing (Ijime) wird teilweise sehr übertrieben dargestellt, vor allem Manami wirkt wie der Teufel in Person, die alle manipuliert und Spaß daran hat, andere zu quälen. Ihr werdet nicht glauben, auf welche verrückten Aktionen die Weiber kommen und dass niemand wirklich einschreitet. Nebenbei wird auch Gesellschaftskritik geäußert eben in Form des passiven Mobbings, bei dem nicht nur die Schüler, sondern auch die Lehrer wegsehen, anstatt etwas zu unternehmen. Oder auch der enorme Leistungsdruck für Schüler, die unbedingt beste Resultate erbringen müssen. Andernfalls bekommen sie keine Anerkennung durch die Eltern. Bei Ayumu sieht man das besonders, da sie allein mit ihrer Mutter und kleinen Schwester wohnt. Anstatt, dass sich mal die Mutter Sorgen um sie macht, bevorzugt sie die kleine Schwester und interessiert sich nur für die Heldin, wenn diese etwas Tolles vollbracht hat. Eine gestörtes Familienverhältnis ist nicht gerade zuträglich für Ayumus schlimme Lage.

Besonders hart hatte mich natürlich die Selbstverletzung mitgenommen, die das einzige Ventil für Ayumu war, um dem Horror zu entkommen. Solange sie dies tat, hatte sie das Gefühl am Leben zu sein. Das war ihre einzige Möglichkeit um sich selbst nicht zu verlieren. Traurig, aber leider wahr.

Auch wenn ich manchmal bei dem Manga den Kopf schütteln musste, sei es wegen der übertriebenen Szenen, der Unfähigkeit Ayumus etwas dagegen zu tun oder eben dieser Konstruktion der Ereignisse, hat mich der Manga mehr als jeder andere emotional echt mitgenommen. Noch nie zu vor hatte ein Manga so einen tiefen Einblick in die Psyche einer Figur vermittelt. Man kann sich mit Ayumu identifizieren, leidet mit ihr, durchlebt mit ihr eine Achterbahn der Gefühle und wird innerlich zerrissen. Ich musste an vielen Stellen weinen, weil ich es eigentlich nicht mehr ertragen konnte, was man Ayumu alles angetan hatte. Aber so sehr man dem entkommen will, spiegelt der Manga reale Tatsachen wider. Mobbing kann extreme Formen annehmen, genauso darf man die Augen nicht vor psychischen Krankheiten wie der Selbstverletzung verschließen. Viel zu oft wird so etwas verschwiegen, wodurch man davon nichts erfährt. Bis es einen selbst oder Angehörige trifft. Für mich ein denkwürdiger Manga, der an den Nerven zerrt.


Koe no Katachi  


Der Manga handelt von dem Mädchen Shoko , das ein beeinträchtigtes Gehör besitzt und neu an eine Grundschule kommt. Von Anfang an scheinen die anderen Mitschüler nicht gerade von ihr angetan zu sein. Der Argwohn dieser wird immer schlimmer, bis irgendwann alles eskaliert und das arme Mädchen gemobbt wird. Begonnen hat dies der zweite Protagonist Shouya, der sich daraus einen Spaß machte. Das Mädchen erträgt es nicht mehr und wechselt die Schule. Shouya hat deswegen kein so wirklich schlimmes Gewissen. Für ihn war das nur eben Spaß, er hatte nicht daran gedacht, was er Shoko damit antun würde. Bis er irgendwann selbst Zielscheibe von Mobbing wird und am eigenen Leib erfahren darf, wie es ist, wenn man von anderen tyrannisiert wird. Der Protagonist entwickelt sich aufgrund der Umstände innerlich immer weiter und kommt zu der Erkenntnis, dass es unverzeihlich war, was er Shoko damals angetan hatte. Er wird geplagt von Reue und Schuldgefühlen und will alles daran setzen, um seine Schandtaten wieder gut zu machen. Er sucht Shoko auf und bittet sie um Verzeihung, wobei er weiß, dass es nicht einfach sein wird. Doch Shoko ist ein gutherziges Mädchen und bietet ihm die Freundschaft an. Langsam kommen sich die beiden näher, wobei Shouya noch immer von der Vergangenheit geplagt wird.

Auch dieser Manga gehört zu meinen Lieblingsmanga, weil er ungemein ehrlich und auch realistisch rüber kommt. Die Thematik eines sagen wir „gehandicapten“ Mädchens ist etwas, was man in Manga sonst eher selten sieht. Das Besondere an dem Manga, war, dass die Geschichte praktisch zwei verschiedene Perspektiven darstellte. Einerseits die Sichtweise von Shoko, die es schwer hatte, irgendwie Freunde zu gewinnen, obwohl sie für ihre Beeinträchtigung überhaupt nichts konnte. Sie versuchte ihr Bestes, um irgendwie akzeptiert und integriert zu werden, war immer nett, doch das reichte nicht. Zu gut kann man nachvollziehen, dass sie an dem ganzen Stress zerbricht und einen Neuanfang an einer anderen Schule wagen will. Ich fand es schon fast aber unglaubwürdig, dass sie ihrem damaligen Mobber einfach so vergeben hatte. Es mag gutherzige Menschen geben, aber dass man einfach so tut, als wäre alles vergessen, fand ich schon krass.

Auf der anderen Seite haben wir die Perspektive der Menschen, die mit „behinderten“ Menschen zu tun haben. Vor allem Kinder können sehr grausam sein, wenn ihnen jemand nicht passt. Für sie ist das alles gar kein Ernst, sondern wirklich nur Spaß. Ihnen fehlt Empathie und durch ihre egozentrische Sichtweise können sie eigentlich nur an sich selbst denken. Anfangs wissen sie nicht wie sie mit diesem „anderen“ Mädchen umgehen sollen. Alles was seltsam erscheint, wird erstmal für verdächtig gehalten. Sie können einfach nicht damit umgehen. Es ärgert sie, dass das Mädchen zu leise spricht oder nicht richtig hören kann. So staut sich zunehmend Wut an, was durch das Mobbing kompensiert wird. Jeder kann davon halten was er will. Ich möchte nichts rechtfertigen, kann aber verstehen, dass Kinder eben so handeln. Sie haben eben noch keine Ahnung und trotzdem fand ich es schrecklich, was sie Shoko angetan hatten.

Gut wiederum fand ich, wie Shouya endlich mal zur Vernunft kommt, indem er in die gleiche Situation gesteckt wird. Fragwürdig finde ich dann wiederum, dass jemand erst mal selbst etwas erleben muss, um sich in andere hinein versetzen zu können, aber trotzdem gut gemacht. Hat man Anfangs nichts für den Protagonisten übrig, weil er einfach ein gemeiner, egoistischer Balg ist, ändert man zunehmend seine Meinung, desto älter er wird. Bis er irgendwann sein altes Ich ganz abgestreift hat, voller Reue ist und alles daran setzt, damit er für seine Taten büßen kann. Es ist echt berührend gewesen, wie er sich beim ersten Treffen nach langem angestellt hatte und wie verändert er doch wirkt und versucht ja alles richtig zu machen. Man merkt ihm richtig an, wie sehr es ihm leid tut und er es rückgängig machen will. Er wirkt viel reifer und vor allem empathischer als es Anfangs der Fall war.
Nun behandelt der Manga also die Thematik des Umgangs mit „behinderten“ Menschen und die zwei Sichtweisen, die man einnehmen kann. Es werden auch Fragen behandelt wie: Kann man jemanden, der etwas Schlimmes getan hat, verzeihen? Kann jemals eine normale Beziehung zwischen einem Gemobbten und einem ehemaligen Mobber entstehen? Hat der Täter überhaupt ein Recht darauf, wieder Kontakt mit dem Opfer herzustellen? Was muss man tun, damit der andere einem vergibt? Der Manga macht auf jeden ziemlich nachdenklich und berührt emotional sehr.


Confidential Confessions


Dieser Manga ist eine Reihe bestehend aus verschiedenen abgeschlossenen Einzelgeschichten, die jedoch alle eins gemeinsam haben: Es geht um schwere Probleme, mit denen sich Teenager auseinander setzen müssen. Auf die Geschichten an sich will ich nicht so sehr eingehen, sondern nur die Themen, die angerissen werden, nennen: HIV, Prostitution, Vergewaltigung, Stalking, Suizid, Drogen, Mobbing und sexueller Missbrauch sind die großen Themen, die in den Manga behandelt werden. Ihr seht also, die volle Bandbreite von höchst tabuisierten und problematischen Themen, die auch unseren Alltag mehr oder weniger bestimmen. Dennoch, obwohl es diese Probleme gibt, werden sie viel zu wenig behandelt. Über solche Dinge spricht man einfach nicht und es ist den betreffenden Opfern immer peinlich, sich jemandem anzuvertrauen. Dabei gibt es keinen Grund für Beschämung, sich Hilfe zu suchen ist das, was man auf jeden Fall tun sollte. Ohne den Zeigefinger empor zu heben, werden die Geschichten nüchtern und doch eindringlich erzählt, dass einem eine Gänsehaut packt.

Die Serie an sich ist mir bekannt, doch leider verfüge ich nur über den ersten Band, der mich schon sehr beeindruckte, hier werden zwei Geschichten vermittelt, die ziemlich unter die Haut gehen.

Einmal die Geschichte um ein Mädchen, was sich selbst verletzt und den Schorf ihrer Wunden mit größer Wertschätzung sammelt. Auch Gesellschaftskritik wird laut, da es in dem Manga auch um den Leistungsdruck ausgehend von der Familie geht. Obwohl es dem Mädchen schlecht ergeht, kann die Mutter an nichts anderes denken, als dass das Mädchen so schnell wie möglich die Schule besucht und gute Noten bekommt. Für die Heldin ist jeder Tag wie der andere, in ihr macht sich Lebensmüdigkeit breit, was verstärkt wird, als sie ein anderes Mädchen trifft, was ebenfalls schwere Probleme hat. Sie wird regelmäßig gemobbt und erpresst und sieht in ihrem Leben keinen Sinn mehr. Beide beschließen sich das Leben gemeinsam zu nehmen. Wie es ausgeht, möchte ich an dieser Stelle aber nicht verraten.

Die zweite Geschichte zeigt, wie ein normales Mädchen auf die schiefe Bahn gerät, weil der Vater die Familie verlassen hatte und die Mutter zur Alkoholikern wird. Sie wächst dadurch in ärmlichen Verhältnissen auf, beginnt Dinge zu stehlen, kommt in eine Mädchengang und verschreibt sich zunehmend der Prostitution. Das führt dazu, dass die Straße ihr neues Zuhause wird, bis sie irgendwann einen Studenten kennen lernt, der ihr zeigt, was wahre Liebe ist. Fortan will sie ihr Leben mit ihm verbringen und sich grundlegend verändern. Doch die Vergangenheit holt sie ein.

Beide Geschichten sind schnell erzählt, es wird nicht viel herum geredet und nichts wird beschönigt oder besonders übertrieben dargestellt. Die Mangaka hat einen wirklich sachlichen Erzählstil und die Figuren wirken zwar jetzt nicht unbedingt total tiefgründig, aber doch glaubwürdig, normal und ohne Klischees. Das verleiht dem Manga ebenfalls Glaubwürdigkeit. Jedenfalls bin ich recht froh, dass ich über diese Manga-Reihe gestolpert bin und überlege auch, mit in Zukunft die anderen Bände anzuschaffen. Selten hat man mal so eine Zusammenstellung von Geschichten um reale Probleme gehabt wie diese. Das Schöne an den Geschichten ist nicht nur, dass sie einen direkt ansprechen und alles auf den Punkt bringen, sondern am Ende eine schöne Botschaft haben. Bei der ersten Geschichte erkennt die Protagonistin, dass auch wenn das Leben eben auch seine Tiefen hat, dennoch lebenswert ist. Und das zweite Mädchen erkennt, dass obwohl nicht alles so läuft, wie sie es sich gedacht hatte, sie die Dinge so akzeptiert und das Gute in ihnen sieht. Dass jede Begegnung und jedes Ereignis eben seinen Sinn hat.




Eine Pianistin, die bereits 3 Selbstmordversuche hinter sich hat, muss ihrer Tante im Gefängnis helfen. Dort trifft sie den jungen Mann Yuu, der drei Menschen auf dem Gewissen hat. Im Laufe der Geschichte wird auf beide Schicksale eingegangen, die wirklich sehr ans Herz gehen...
Wie man an der kurzen Beschreibung sehen kann, werden auch hier Tabuthemen behandelt, die einen selbst ziemlich aufwühlen können. Das Mädchen wurde nämlich von ihrem Lehrer missbraucht, während der junge Mann nicht einfach nur ein normaler Mörder ist, sondern ebenfalls eine Hintergrundgeschichte hat, die sein Handeln nachvollziehbar machen.

Nach und nach wird klar, dass er diese drei Menschen, zumindest die Mutter mit ihrem Kind nicht mit Absicht getötet hat, den einen Mann aber schon. Aber auch diese Tat ist irgendwo verständlich, weil der Mann selbst keine reine Weste hat. Es war gewissermaßen ein Akt der Rache, der aber noch weitere Opfer in Mitleidenschaft gezogen hatte. Nun stellt man sich als Leser in dem Falle die Frage, ob der Mann wirklich schuldig ist. Ist Rache vertretbar oder sollte dies in jedem Falle bestraft werden? Muss der Mann auch für die Tode der anderen zwei Opfer Verantwortung tragen? Schließlich waren es Unfälle, aber schützt Unwissenheit vor einer Bestrafung? Der Manga ist recht kurz, aber so beeindruckend und so emotional erzählt, dass man auch lange danach noch an ihn denken muss.

Watashiga Motenai no wa Dou Kangaete mo Omaera ga Warui! 



Als Mittelschülerin träumte Tomoko Kuroki davon ihr Highschool Debut als das populärste Mädchen der Schule zu machen. Aber all die Erfahrungen, die sie aus Dating-Simulations-Spielen gewonnen hat, dürften nutzlos gewesen sein. Anstatt sie auf die wirkliche Welt vorzubereiten, hielt das Zocken sie solange von der Realität und Gesellschaft ab, sodass selbst die alltäglichsten, banalen, sozialen Interaktionen für sie zu großen Problemen wurden. Wie kann sie jemals einen guten Eindruck auf ihre Mitschüler machen, wenn sie noch nicht einmal in der Lage ist mit ihnen zu kommunizieren?

Das wäre also grob gesagt der Plot der Story. Jeder der den Manga kennt, denkt sich jetzt, was will ich mit diesen? Der Manga sticht aus den zuvor erwähnten Manga deutlich heraus. Eigentlich tendiert das Werk mehr zu Comedy und sogar zur Parodie, bei der die Hauptfigur von einem Fettnäpfchen ins nächste tritt und regelmäßig zum Affen gemacht wird. Warum ich den Manga trotzdem hier aufliste? Einfach aufgrund der Thematik an sich, die besprochen wird: Soziale Phobie. Obwohl der Manga eher durch schwarzen Humor gekennzeichnet ist, wird hier ein psychisch ernsthaftes Problem dargestellt, was nicht oft in Manga thematisiert wird. Natürlich ist alles recht drastisch überzogen dargestellt, die Hauptfigur wirkt fanatisch und verrückt, aber im Kern erkennt man eben diese krankhaften Züge, über die man nicht lachen sollte. Das Mädchen schenkt der Umgebung zu viel Aufmerksamkeit, kontrolliert ständig ihr eigenes Verhalten, macht sich zu viel Gedanken, kann vor lauter Angst nicht normal mit anderen reden, isoliert sich von der Gesellschaft und ist durchweg zynisch und pessmistisch.

Ich will damit nicht sagen, dass dies alles Charaktereigenschaften sind, die Menschen mit sozialer Phobie haben, aber gewisse Parallelen sieht man schon. Während man anfangs noch darüber lachen kann, auch wenn es böse ist, entwickelt man eigentlich zunehmend Mitleid mit dem armen Ding und kann eigentlich nur noch darüber seufzen. Fortwährend entwickelt sich Tomoko eigentlich nicht weiter, sie tritt auf der Stelle, Heilung ist nicht in Sicht. Es ist schon ziemlich traurig und erschütternd, aber so ergeht es den Menschen, die sich eben keine Hilfe suchen. Der Manga schildert also den drastischen Fall, bei dem Hilfe nicht angenommen wird. Liest man den Manga aus dieser Perspektive, ist das Ganze eigentlich überhaupt nicht mehr komisch. Natürlich versucht der Manga Ernsthaftigkeit von Anfangs an auszublenden, dennoch bleibt ein ziemlich deprimierendes Gefühl, wenn man versucht sich mit dem Mädchen zu identifizieren.




Koume Sato und Kosuke Isobe sind zwei Teenager die in einer kleinen Stadt am See wohnen. Nachdem beide von anderen ausgenutzt und „weg geworfen“ wurden, entscheidet sich die emotional angeschlagene Koume eine sexuelle Beziehung mit Kosuke ohne jegliche Emotionen anzufangen. Doch beide bemerken schnell , dass Sex ohne Bindung zu unerwarteten Problemen führt, sowohl für die Beteiligten als auch für die Außenstehenden...

Die Werke von Inio Asano sind solche, die durchweg als hochgradig realistisch anzusehen sind. Ich habe mir nun aber dieses Werk genommen, weil es das einzige ist, dass ich wirklich durchgängig gelesen habe. Während in den voran gestellten Werken andere Probleme dargestellt werden, widmet sich dieses Werk der Pubertät, der sexuellen Orientierung und überhaupt den ersten sexuellen Erfahrungen. Ich muss ehrlich zugeben, dass mich diese schonungslose, realistische Darstellung teilweise verstört hat. Die Figuren könnten auch aus der Realität entsprungen sein. Sie kommen ohne Klischees aus, wirken total normal und offenbaren uns ihre tiefsten Abgründe. Zwei junge, unschuldig wirkende Teenager, die man beim „schmutzigen Sex“ beobachtet, der dann auch noch geheim gehalten wird. Ich habe mich öfter mal wie ein unfreiwilliger Voyeur gefühlt. Ich will jetzt nicht sagen, dass ich Sex an sich abstößig finde, zumal Teenies das nun mal so machen. Aber es hat mich teilweise doch abgeschreckt, wie brutal ehrlich die Zwiespalte der beiden Protagonisten offen gelegt wurden. Sie sind hin und her gerissen, zwischen ihren Gelüsten und ihrem Gewissen, führen eigentlich ein Doppelleben, können sich nie wirklich entscheiden. Man baut zu ihnen nicht wirklich eine Sympathie auf, dafür sind beide zu undurchsichtig, zu wankelmütig, einfach zu menschlich, was jetzt eigentlich positiv sein sollte. Und doch ist dieses Werk für mich einzigartig, weil eben so viel Realismus mit drin steckt, der einen erschreckt und doch nachdenklich macht.




Meine Meinung grundsätzlich zu Manga, die fast ohne Klischees auskommen, dafür von Realismus durchdrungen sind, ist eher zwiegespalten. Das klingt jetzt vielleicht merkwürdig, aber ich versuche es mal zu erklären. Einerseits finde ich es toll, dass es solche Manga gibt, weil ich finde, dass ernste Thematiken durch Manga eine ganz andere Form und Interpretation bekommen. Durch die emotionale Bildlichkeit werden die Geschichten noch viel greifbarer und aufwühlender. Diese Geschichten rütteln einen auf, machen einen nachdenklich und sind voller Tiefe. Solche Manga zeigen, dass man Manga eben nicht über einen Kamm scherren kann. Nicht alles an Manga ist unbedingt unrealistisch. Es gibt also auch anspruchsvollere und tiefer gehende Geschichten.


So viel also zu den guten Seiten. Auf der anderen Seite können diese Werke durchaus an die Substanz gehen. Viele lesen Manga, nicht weil sie sich mehr mit der Realität beschäftigen wollen, sondern eben um abzuschalten. Wenn man solche Geschichten vermehrt konsumiert, dann könnte man durchaus deprimiert werden. Gerade weil schonungslos die dreckigen Tatsachen auf den Tisch gelegt werden, kann es einen innerlich so aufwühlen, dass es nicht mehr unterhaltsam ist. Ich spreche da aus eigener Erfahrung. Auf einmal wirkt alles so hoffnungslos und deprimierend und man sehnt sich nach einer besseren, heilen Welt. Diese Geschichten konfrontieren einen aber eben mit den Schattenseiten unserer Welt, wobei viele auch einen guten Ausgang nehmen.


Abschließend möchte ich euch fragen, was ihr von der ganzen Problematik um Realismus und Glaubwürdigkeit haltet? Legt ihr auf so etwas wert, wenn ihr Manga lest oder wollt ihr erst recht der Realität entkommen und in eine komplett andere Welt versinken? Habt ihr die erwähnten Manga gelesen, wenn ja, wie ist eure Meinung zu diesen? Habt ihr eventuell andere Manga, die recht realistisch sind, sich mit alltäglichen Problemen und der Psyche auseinander setzen? Ich bin schon gespannt auf eure Antworten. :)


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