Viel
zu oft wird dem Medium Manga (sowie auch Anime) vorgeworfen, dass es
an Realismus, Glaubwürdigkeit und Ernsthaftigkeit mangelt. Das kann
man den Leuten, die sich darüber aufregen nicht gerade verübeln.
Tatsächlich leben Manga von Überzeichnung und gerade
unrealistischen Settings sowie Plots, was meiner Ansicht nach sowohl
Stärke als auch Schwäche sein kann. Doch abseits der typischen
Mainstream-Manga, die sich gerne Klischees bedienen und dadurch noch
unglaubwürdiger daher kommen, gibt es eine kleine Gruppe von
realistischen Manga, mit denen ich mich heute befassen möchte...
Was
genau meint denn eigentlich das Adjektiv „realistisch“?
Laut
dem Duden gibt es dafür mehrere Definitionen. Einerseits wird damit
verdeutlicht, dass etwas der Wirklichkeit entspricht, lebensecht und
wirklichkeitsnah ist. Andererseits ist damit auch eine
sachlich-nüchterne Art ohne Illusion verbunden. Die zweite
Definition weicht von der ersteren nicht unbedingt stark ab.
Realistisch meint vor allem den Realismus betreffend.
Wenn
wir also etwas als realistisch ansehen, dann darf dies nicht unserer
Vorstellung von Realität widersprechen. Doch Manga und besonders
Anime verstoßen regelmäßig gegen die Gesetzlichkeiten der
Realität. Das fängt schon beim Zeichenstil und einigen seltsamen
Proportionen (*hust* Kuheuter! Hust) an und geht über zu
Plots, bei denen kleine Kinder riesige Mechas steuern müssen,
unattraktive Kerle haufenweise hübsche Mädchen abschleppen,
stinknormale Mädchen den Märchenprinz abbekommen können. Ganz zu schweigen vom Genre „Shonen“, das geradezu davon lebt, dass man
Abstand von der Realität nimmt. Sonst kann man solche Vertreter gar
nicht erst ernst nehmen. Doch stellt sich mir die Fragen: Wollen
Manga/Anime ernst genommen werden? Gerade diese Medien tendieren dazu
uns von der Realität entfernen zu wollen, mehr als jedes andere
Medium. Und doch würde ich behaupten, dass Anime da noch einen
ticken krasser sind als Manga. Anime eignen sich aufgrund ihrer
besonderen Darstellungsart für absurde, unrealistische Settings und
Geschichten, während bei Manga auch öfter mal realistisch-anmutende
Werke heraus kommen können. Auf einige Beispiele möchte ich heute
näher eingehen.
LIFE
Einer
der ersten, sagen wir mal, realistischeren Manga, die ich gelesen
habe. Der Manga beginnt eigentlich recht langweilig, aber ebenso doch
ziemlich glaubwürdig. Die Heldin Ayumu befindet sich am Ende ihrer
Mittelstufe und büffelt dementsprechend sehr hart für die
anstehenden Highschool-Aufnahmeprüfungen. Glücklicherweise bekommt
sie von ihrer besten Freundin Unterstützung. Insgeheim sehnt sie
sich danach die gleiche Highschool wie ihre beste Freundin zu
besuchen, was sie nur noch mehr anspornt. Anfangs glaubt man, dass
sie es nicht schafft, aber sie steigert sich so sehr hinein, dass sie
tatsächlich die Prüfung besteht. Voller Freude möchte sie dies mit
ihrer zweiten Hälfte feiern, doch diese ist nicht gerade angetan
davon. Schon während des Lernens wird Shii-chan, so ihr Spitzname,
immer depressiver, weil ihre Leistungen abnehmen. Kein Wunder, dass
sie sich für Ayumu nicht so wirklich freuen kann. Während Ayumu
also denkt, dass Shii-chan sich für sie freut, ist letztere ziemlich
neidisch auf sie. Die Freundschaft wird gänzlich zerstört, als
Ayumu als einzige auf die Highschool gehen kann, aber ihre beste
Freundin nicht. Diese wendet sich hasserfüllt von der Protagonistin
ab, wodurch sie ihre einzige Hoffnung verloren hat.
Danach
fällt Ayumu in ein tiefes Loch und beginnt sich selbst mit scharfen
Gegenständen zu verletzen. Starke Schuldgefühle plagen sie und
erschweren ihr ebenfalls den Anfang an der Highschool.
Glücklicherweise trifft sie dort gleich Manami, ein aufgewecktes,
fröhliches und beliebtes Mädchen, das sich mit Ayumu sofort
anfreundet. Die Welt erscheint in neuem Licht, so sieht es anfangs
aus. Doch dann erfährt Ayumu etwas Schlimmeres über den Freund von
Manami, Missverständnisse reihen sich aneinander, was schlussendlich
dazu führt, dass sie sich Manami und ihre Clique zu Feinden macht.
Eine höllische Zeit, im wahrsten Sinne des Wortes, beginnt für
Ayumu, die gefangen ist zwischen Borderline-Syndrom, Mobbing und
anderen grausamen Dingen...
Wie
ihr lesen könnt, spielt sich also das ganze in der Highschool ab,
wodurch schon mal ein glaubwürdiges Setting für die angesprochenen
Themen aufgebaut wird. Was mich an diesem Manga besonders fasziniert
hatte, war, dass sich die Zeichnerin traute, einfühlsam und
eindringlich Tabu-Themen darzustellen, ohne irgendwie mit Zeigefinger
zu verurteilen. Wir erleben die Geschichte fast durchgängig aus
Sicht von Ayumu, die anfangs noch ein normales und unschuldiges
Mädchen wird, was zunehmend gebrochen wird. Eigentlich kann man es
fast nicht glauben, was ihr alles zustößt. Obschon viel Realismus
mit rein spielt, wirken einige Dinge doch konstruiert, um möglichst
viel Drama heraus zu holen. So viele schlimme Dinge können doch
niemanden wirklich passieren nicht wahr? Ayumu schon. Nicht nur muss
sie mich sich selbst und ihrer psychischen Krankheit kämpfen, auch
ihre Umwelt bereitet ihr massive Probleme.
Mobbing
(Ijime) wird teilweise sehr übertrieben dargestellt, vor allem
Manami wirkt wie der Teufel in Person, die alle manipuliert und Spaß
daran hat, andere zu quälen. Ihr werdet nicht glauben, auf welche
verrückten Aktionen die Weiber kommen und dass niemand wirklich
einschreitet. Nebenbei wird auch Gesellschaftskritik geäußert eben
in Form des passiven Mobbings, bei dem nicht nur die Schüler,
sondern auch die Lehrer wegsehen, anstatt etwas zu unternehmen. Oder
auch der enorme Leistungsdruck für Schüler, die unbedingt beste
Resultate erbringen müssen. Andernfalls bekommen sie keine
Anerkennung durch die Eltern. Bei Ayumu sieht man das besonders, da
sie allein mit ihrer Mutter und kleinen Schwester wohnt. Anstatt,
dass sich mal die Mutter Sorgen um sie macht, bevorzugt sie die
kleine Schwester und interessiert sich nur für die Heldin, wenn
diese etwas Tolles vollbracht hat. Eine gestörtes Familienverhältnis
ist nicht gerade zuträglich für Ayumus schlimme Lage.
Besonders
hart hatte mich natürlich die Selbstverletzung mitgenommen, die das
einzige Ventil für Ayumu war, um dem Horror zu entkommen. Solange
sie dies tat, hatte sie das Gefühl am Leben zu sein. Das war ihre
einzige Möglichkeit um sich selbst nicht zu verlieren. Traurig, aber
leider wahr.
Auch
wenn ich manchmal bei dem Manga den Kopf schütteln musste, sei es
wegen der übertriebenen Szenen, der Unfähigkeit Ayumus etwas
dagegen zu tun oder eben dieser Konstruktion der Ereignisse, hat mich
der Manga mehr als jeder andere emotional echt mitgenommen. Noch nie
zu vor hatte ein Manga so einen tiefen Einblick in die Psyche einer
Figur vermittelt. Man kann sich mit Ayumu identifizieren, leidet mit
ihr, durchlebt mit ihr eine Achterbahn der Gefühle und wird
innerlich zerrissen. Ich musste an vielen Stellen weinen, weil ich es
eigentlich nicht mehr ertragen konnte, was man Ayumu alles angetan
hatte. Aber so sehr man dem entkommen will, spiegelt der Manga reale
Tatsachen wider. Mobbing kann extreme Formen annehmen, genauso darf
man die Augen nicht vor psychischen Krankheiten wie der
Selbstverletzung verschließen. Viel zu oft wird so etwas
verschwiegen, wodurch man davon nichts erfährt. Bis es einen selbst
oder Angehörige trifft. Für mich ein denkwürdiger Manga, der an
den Nerven zerrt.
Koe
no Katachi
Der
Manga handelt von dem Mädchen Shoko , das ein beeinträchtigtes
Gehör
besitzt
und neu an eine Grundschule kommt. Von Anfang an scheinen die anderen
Mitschüler nicht gerade von ihr angetan zu sein. Der Argwohn dieser
wird immer schlimmer, bis irgendwann alles eskaliert und das arme
Mädchen gemobbt wird. Begonnen hat dies der zweite Protagonist
Shouya,
der sich daraus einen Spaß machte. Das Mädchen
erträgt es nicht mehr und wechselt die Schule. Shouya hat deswegen
kein so wirklich schlimmes Gewissen. Für ihn war das nur eben Spaß,
er hatte nicht daran gedacht, was er Shoko damit antun würde. Bis er
irgendwann selbst Zielscheibe von Mobbing wird und am eigenen Leib
erfahren darf, wie es ist, wenn man von anderen tyrannisiert wird.
Der Protagonist entwickelt sich aufgrund der Umstände innerlich
immer weiter und kommt zu der Erkenntnis, dass es unverzeihlich war,
was er Shoko damals angetan hatte. Er wird geplagt von Reue und
Schuldgefühlen und will alles daran setzen, um seine Schandtaten
wieder gut zu machen. Er sucht Shoko auf und bittet sie um
Verzeihung, wobei er weiß, dass es nicht einfach sein wird. Doch
Shoko ist ein gutherziges Mädchen und bietet ihm die Freundschaft
an. Langsam kommen sich die beiden näher, wobei Shouya noch immer
von der Vergangenheit geplagt wird.
Auch
dieser Manga gehört zu meinen Lieblingsmanga, weil er ungemein
ehrlich und auch realistisch rüber kommt. Die Thematik eines sagen
wir „gehandicapten“ Mädchens ist etwas, was man in Manga sonst
eher selten sieht. Das Besondere an dem Manga, war, dass die
Geschichte praktisch zwei verschiedene Perspektiven darstellte.
Einerseits die Sichtweise von Shoko, die es schwer hatte, irgendwie
Freunde zu gewinnen, obwohl sie für ihre Beeinträchtigung überhaupt
nichts konnte. Sie versuchte ihr Bestes, um irgendwie akzeptiert und
integriert zu werden, war immer nett, doch das reichte nicht. Zu gut
kann man nachvollziehen, dass sie an dem ganzen Stress zerbricht und
einen Neuanfang an einer anderen Schule wagen will. Ich fand es schon
fast aber unglaubwürdig, dass sie ihrem damaligen Mobber einfach so
vergeben hatte. Es mag gutherzige Menschen geben, aber dass man
einfach so tut, als wäre alles vergessen, fand ich schon krass.
Auf
der anderen Seite haben wir die Perspektive der Menschen, die mit
„behinderten“ Menschen zu tun haben. Vor allem Kinder können
sehr grausam sein, wenn ihnen jemand nicht passt. Für sie ist das
alles gar kein Ernst, sondern wirklich nur Spaß. Ihnen fehlt
Empathie und durch ihre egozentrische Sichtweise können sie
eigentlich nur an sich selbst denken. Anfangs wissen sie nicht wie
sie mit diesem „anderen“ Mädchen umgehen sollen. Alles was
seltsam erscheint, wird erstmal für verdächtig gehalten. Sie können
einfach nicht damit umgehen. Es ärgert sie, dass das Mädchen zu
leise spricht oder nicht richtig hören kann. So staut sich zunehmend
Wut an, was durch das Mobbing kompensiert wird. Jeder kann davon
halten was er will. Ich möchte nichts rechtfertigen, kann aber
verstehen, dass Kinder eben so handeln. Sie haben eben noch keine
Ahnung und trotzdem fand ich es schrecklich, was sie Shoko angetan
hatten.
Gut
wiederum fand ich, wie Shouya endlich mal zur Vernunft kommt, indem
er in die gleiche Situation gesteckt wird. Fragwürdig finde ich dann
wiederum, dass jemand erst mal selbst etwas erleben muss, um sich in
andere hinein versetzen zu können, aber trotzdem gut gemacht. Hat
man Anfangs nichts für den Protagonisten übrig, weil er einfach ein
gemeiner, egoistischer Balg ist, ändert man zunehmend seine Meinung,
desto älter er wird. Bis er irgendwann sein altes Ich ganz
abgestreift hat, voller Reue ist und alles daran setzt, damit er für
seine Taten büßen kann. Es ist echt berührend gewesen, wie er sich
beim ersten Treffen nach langem angestellt hatte und wie verändert
er doch wirkt und versucht ja alles richtig zu machen. Man merkt ihm
richtig an, wie sehr es ihm leid tut und er es rückgängig machen
will. Er wirkt viel reifer und vor allem empathischer als es Anfangs
der Fall war.
Nun
behandelt der Manga also die Thematik des Umgangs mit „behinderten“
Menschen und die zwei Sichtweisen, die man einnehmen kann. Es werden
auch Fragen behandelt wie: Kann man jemanden, der etwas Schlimmes
getan hat, verzeihen? Kann jemals eine normale Beziehung zwischen
einem Gemobbten und einem ehemaligen Mobber entstehen? Hat der Täter
überhaupt ein Recht darauf, wieder Kontakt mit dem Opfer
herzustellen? Was muss man tun, damit der andere einem vergibt? Der
Manga macht auf jeden ziemlich nachdenklich und berührt emotional
sehr.
Confidential
Confessions
Dieser
Manga ist eine Reihe bestehend aus verschiedenen abgeschlossenen
Einzelgeschichten, die jedoch alle eins gemeinsam haben: Es geht um
schwere Probleme, mit denen sich Teenager auseinander setzen müssen.
Auf die Geschichten an sich will ich nicht so sehr eingehen, sondern
nur die Themen, die angerissen werden, nennen: HIV, Prostitution,
Vergewaltigung, Stalking, Suizid, Drogen, Mobbing und sexueller
Missbrauch sind die großen Themen, die in den Manga behandelt
werden. Ihr seht also, die volle Bandbreite von höchst tabuisierten
und problematischen Themen, die auch unseren Alltag mehr oder weniger
bestimmen. Dennoch, obwohl es diese Probleme gibt, werden sie viel zu
wenig behandelt. Über solche Dinge spricht man einfach nicht und es
ist den betreffenden Opfern immer peinlich, sich jemandem
anzuvertrauen. Dabei gibt es keinen Grund für Beschämung, sich
Hilfe zu suchen ist das, was man auf jeden Fall tun sollte. Ohne den
Zeigefinger empor zu heben, werden die Geschichten nüchtern und doch
eindringlich erzählt, dass einem eine Gänsehaut packt.
Die
Serie an sich ist mir bekannt, doch leider verfüge ich nur über den
ersten Band, der mich schon sehr beeindruckte, hier werden zwei
Geschichten vermittelt, die ziemlich unter die Haut gehen.
Einmal
die Geschichte um ein Mädchen, was sich selbst verletzt und den
Schorf ihrer Wunden mit größer Wertschätzung sammelt. Auch
Gesellschaftskritik wird laut, da es in dem Manga auch um den
Leistungsdruck ausgehend von der Familie geht. Obwohl es dem Mädchen
schlecht ergeht, kann die Mutter an nichts anderes denken, als dass
das Mädchen so schnell wie möglich die Schule besucht und gute
Noten bekommt. Für die Heldin ist jeder Tag wie der andere, in ihr
macht sich Lebensmüdigkeit breit, was verstärkt wird, als sie ein
anderes Mädchen trifft, was ebenfalls schwere Probleme hat. Sie wird
regelmäßig gemobbt und erpresst und sieht in ihrem Leben keinen
Sinn mehr. Beide beschließen sich das Leben gemeinsam zu nehmen. Wie
es ausgeht, möchte ich an dieser Stelle aber nicht verraten.
Die
zweite Geschichte zeigt, wie ein normales Mädchen auf die schiefe
Bahn gerät, weil der Vater die Familie verlassen hatte und die
Mutter zur Alkoholikern wird. Sie wächst dadurch in ärmlichen
Verhältnissen auf, beginnt Dinge zu stehlen, kommt in eine
Mädchengang und verschreibt sich zunehmend der Prostitution. Das
führt dazu, dass die Straße ihr neues Zuhause wird, bis sie
irgendwann einen Studenten kennen lernt, der ihr zeigt, was wahre
Liebe ist. Fortan will sie ihr Leben mit ihm verbringen und sich
grundlegend verändern. Doch die Vergangenheit holt sie ein.
Beide
Geschichten sind schnell erzählt, es wird nicht viel herum geredet
und nichts wird beschönigt oder besonders übertrieben dargestellt.
Die Mangaka hat einen wirklich sachlichen Erzählstil und die Figuren
wirken zwar jetzt nicht unbedingt total tiefgründig, aber doch
glaubwürdig, normal und ohne Klischees. Das verleiht dem Manga
ebenfalls Glaubwürdigkeit. Jedenfalls bin ich recht froh, dass ich
über diese Manga-Reihe gestolpert bin und überlege auch, mit in
Zukunft die anderen Bände anzuschaffen. Selten hat man mal so eine
Zusammenstellung von Geschichten um reale Probleme gehabt wie diese.
Das Schöne an den Geschichten ist nicht nur, dass sie einen direkt
ansprechen und alles auf den Punkt bringen, sondern am Ende eine
schöne Botschaft haben. Bei der ersten Geschichte erkennt die
Protagonistin, dass auch wenn das Leben eben auch seine Tiefen hat,
dennoch lebenswert ist. Und das zweite Mädchen erkennt, dass obwohl
nicht alles so läuft, wie sie es sich gedacht hatte, sie die Dinge
so akzeptiert und das Gute in ihnen sieht. Dass jede Begegnung und
jedes Ereignis eben seinen Sinn hat.
Eine
Pianistin, die bereits 3 Selbstmordversuche hinter sich hat, muss
ihrer Tante im Gefängnis helfen. Dort trifft sie den jungen Mann
Yuu, der drei Menschen auf dem Gewissen hat. Im Laufe der Geschichte
wird auf beide Schicksale eingegangen, die wirklich sehr ans Herz
gehen...
Wie
man an der kurzen Beschreibung sehen kann, werden auch hier
Tabuthemen behandelt, die einen selbst ziemlich aufwühlen können.
Das Mädchen wurde nämlich von ihrem Lehrer missbraucht, während
der junge Mann nicht einfach nur ein normaler Mörder ist, sondern
ebenfalls eine Hintergrundgeschichte hat, die sein Handeln
nachvollziehbar machen.
Nach
und nach wird klar, dass er diese drei Menschen, zumindest die Mutter
mit ihrem Kind nicht mit Absicht getötet hat, den einen Mann aber
schon. Aber auch diese Tat ist irgendwo verständlich, weil der Mann
selbst keine reine Weste hat. Es war gewissermaßen ein Akt der
Rache, der aber noch weitere Opfer in Mitleidenschaft gezogen hatte.
Nun stellt man sich als Leser in dem Falle die Frage, ob der Mann
wirklich schuldig ist. Ist Rache vertretbar oder sollte dies in jedem
Falle bestraft werden? Muss der Mann auch für die Tode der anderen
zwei Opfer Verantwortung tragen? Schließlich waren es Unfälle, aber
schützt Unwissenheit vor einer Bestrafung? Der Manga ist recht kurz,
aber so beeindruckend und so emotional erzählt, dass man auch lange
danach noch an ihn denken muss.
Watashiga Motenai no wa Dou Kangaete mo Omaera ga Warui!
Als
Mittelschülerin träumte Tomoko Kuroki davon ihr Highschool Debut
als das populärste Mädchen der Schule zu machen. Aber all die
Erfahrungen, die sie aus Dating-Simulations-Spielen gewonnen hat,
dürften nutzlos gewesen sein. Anstatt sie auf die wirkliche Welt
vorzubereiten, hielt das Zocken sie solange von der Realität und
Gesellschaft ab, sodass selbst die alltäglichsten, banalen, sozialen
Interaktionen für sie zu großen Problemen wurden. Wie kann sie
jemals einen guten Eindruck auf ihre Mitschüler machen, wenn sie
noch nicht einmal in der Lage ist mit ihnen zu kommunizieren?
Das
wäre also grob gesagt der Plot der Story. Jeder der den Manga kennt,
denkt sich jetzt, was will ich mit diesen? Der Manga sticht aus den
zuvor erwähnten Manga deutlich heraus. Eigentlich tendiert das
Werk mehr zu Comedy und sogar zur Parodie, bei der die Hauptfigur von
einem Fettnäpfchen ins nächste tritt und regelmäßig zum Affen
gemacht wird. Warum ich den Manga trotzdem hier aufliste? Einfach
aufgrund der Thematik an sich, die besprochen wird: Soziale Phobie.
Obwohl der Manga eher durch schwarzen Humor gekennzeichnet ist, wird
hier ein psychisch ernsthaftes Problem dargestellt, was nicht oft in
Manga thematisiert wird. Natürlich ist alles recht drastisch
überzogen dargestellt, die Hauptfigur wirkt fanatisch und verrückt,
aber im Kern erkennt man eben diese krankhaften Züge, über die man
nicht lachen sollte. Das Mädchen schenkt der Umgebung zu viel
Aufmerksamkeit, kontrolliert ständig ihr eigenes Verhalten, macht
sich zu viel Gedanken, kann vor lauter Angst nicht normal mit anderen
reden, isoliert sich von der Gesellschaft und ist durchweg zynisch
und pessmistisch.
Ich
will damit nicht sagen, dass dies alles Charaktereigenschaften sind,
die Menschen mit sozialer Phobie haben, aber gewisse Parallelen sieht
man schon. Während man anfangs noch darüber lachen kann, auch wenn
es böse ist, entwickelt man eigentlich zunehmend Mitleid mit dem
armen Ding und kann eigentlich nur noch darüber seufzen. Fortwährend
entwickelt sich Tomoko eigentlich nicht weiter, sie tritt auf der
Stelle, Heilung ist nicht in Sicht. Es ist schon ziemlich traurig und
erschütternd, aber so ergeht es den Menschen, die sich eben keine
Hilfe suchen. Der Manga schildert also den drastischen Fall, bei dem
Hilfe nicht angenommen wird. Liest man den Manga aus dieser
Perspektive, ist das Ganze eigentlich überhaupt nicht mehr komisch.
Natürlich versucht der Manga Ernsthaftigkeit von Anfangs an
auszublenden, dennoch bleibt ein ziemlich deprimierendes Gefühl,
wenn man versucht sich mit dem Mädchen zu identifizieren.
Koume
Sato und Kosuke Isobe sind zwei Teenager die in einer kleinen Stadt
am See wohnen. Nachdem beide von anderen ausgenutzt und „weg
geworfen“ wurden, entscheidet sich die emotional angeschlagene
Koume eine sexuelle Beziehung mit Kosuke ohne jegliche Emotionen
anzufangen. Doch beide bemerken schnell , dass Sex ohne Bindung zu
unerwarteten Problemen führt, sowohl für die Beteiligten als auch
für die Außenstehenden...
Die
Werke von Inio Asano sind solche, die durchweg als hochgradig
realistisch anzusehen sind. Ich habe mir nun aber dieses Werk
genommen, weil es das einzige ist, dass ich wirklich durchgängig
gelesen habe. Während in den voran gestellten Werken andere Probleme
dargestellt werden, widmet sich dieses Werk der Pubertät, der
sexuellen Orientierung und überhaupt den ersten sexuellen
Erfahrungen. Ich muss ehrlich zugeben, dass mich diese schonungslose,
realistische Darstellung teilweise verstört hat. Die Figuren könnten
auch aus der Realität entsprungen sein. Sie kommen ohne Klischees
aus, wirken total normal und offenbaren uns ihre tiefsten Abgründe.
Zwei junge, unschuldig wirkende Teenager, die man beim „schmutzigen
Sex“ beobachtet, der dann auch noch geheim gehalten wird. Ich habe
mich öfter mal wie ein unfreiwilliger Voyeur gefühlt. Ich will
jetzt nicht sagen, dass ich Sex an sich abstößig finde, zumal
Teenies das nun mal so machen. Aber es hat mich teilweise doch
abgeschreckt, wie brutal ehrlich die Zwiespalte der beiden
Protagonisten offen gelegt wurden. Sie sind hin und her gerissen,
zwischen ihren Gelüsten und ihrem Gewissen, führen eigentlich ein
Doppelleben, können sich nie wirklich entscheiden. Man baut zu ihnen
nicht wirklich eine Sympathie auf, dafür sind beide zu
undurchsichtig, zu wankelmütig, einfach zu menschlich, was jetzt
eigentlich positiv sein sollte. Und doch ist dieses Werk für mich
einzigartig, weil eben so viel Realismus mit drin steckt, der einen
erschreckt und doch nachdenklich macht.
Meine
Meinung grundsätzlich zu Manga, die fast ohne Klischees auskommen,
dafür von Realismus durchdrungen sind, ist eher zwiegespalten. Das
klingt jetzt vielleicht merkwürdig, aber ich versuche es mal zu
erklären. Einerseits finde ich es toll, dass es solche Manga gibt,
weil ich finde, dass ernste Thematiken durch Manga eine ganz andere
Form und Interpretation bekommen. Durch die emotionale Bildlichkeit
werden die Geschichten noch viel greifbarer und aufwühlender. Diese
Geschichten rütteln einen auf, machen einen nachdenklich und sind
voller Tiefe. Solche Manga zeigen, dass man Manga eben nicht über
einen Kamm scherren kann. Nicht alles an Manga ist unbedingt
unrealistisch. Es gibt also auch anspruchsvollere und tiefer gehende
Geschichten.
So
viel also zu den guten Seiten. Auf der anderen Seite können diese
Werke durchaus an die Substanz gehen. Viele lesen Manga, nicht weil
sie sich mehr mit der Realität beschäftigen wollen, sondern eben um
abzuschalten. Wenn man solche Geschichten vermehrt konsumiert, dann
könnte man durchaus deprimiert werden. Gerade weil schonungslos die
dreckigen Tatsachen auf den Tisch gelegt werden, kann es einen
innerlich so aufwühlen, dass es nicht mehr unterhaltsam ist. Ich
spreche da aus eigener Erfahrung. Auf einmal wirkt alles so
hoffnungslos und deprimierend und man sehnt sich nach einer besseren,
heilen Welt. Diese Geschichten konfrontieren einen aber eben mit den
Schattenseiten unserer Welt, wobei viele auch einen guten Ausgang
nehmen.
Abschließend
möchte ich euch fragen, was ihr von der ganzen Problematik um
Realismus und Glaubwürdigkeit haltet? Legt ihr auf so etwas wert,
wenn ihr Manga lest oder wollt ihr erst recht der Realität entkommen
und in eine komplett andere Welt versinken? Habt ihr die erwähnten
Manga gelesen, wenn ja, wie ist eure Meinung zu diesen? Habt ihr
eventuell andere Manga, die recht realistisch sind, sich mit
alltäglichen Problemen und der Psyche auseinander setzen? Ich bin
schon gespannt auf eure Antworten. :)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen