Sonntag, 6. September 2015

Gezockt: Her Story (PC)


Polizeiliche Ermittlungsarbeit vom Feinsten...


Story: 

Im Jahre 1994 wird eine junge, britische Frau sieben Mal von der Polizei verhört. Sie steht im Verdacht ihren Ehemann Simon Smith umgebracht zu haben. In den insgesamt sieben Interviews erfahren wir Stück für Stück die gesamte Wahrheit. Zumindest glauben wir das. Niemals wird gänzlich offensichtlich, was nun wahr oder falsch ist. Wir erfahren weitaus mehr als über den Tag, an dem Simon gestorben ist. Nicht umsonst trägt das Spiel den Titel „Her Story“. Da das Spiel hauptsächlich auf die Geschichte konzentriert ist, sie Dreh- und Angelpunkt des Spiels ist, möchte ich natürlich nicht zu viel verraten. Nur, dass die Art und Weise, wie die Geschichte transportiert wird, sehr originell gestaltet ist. Es wäre nicht falsch zu sagen, dass mich das Ganze an eine interaktive Geschichte wie man es aus Visual Novels kennt erinnert. Und doch ist es komplett etwas anderes. Es gibt keinen Anfangs- oder Endpunkt. Obwohl man eigentlich die meiste Zeit über nur am Lesen ist, unterscheidet es sich vom typischen „Ich lese mal einen Roman von vorne bis hinten durch“. Die Erzählweise ist non-linear. Wir beginnen irgendwo im nirgendwo, springen von der Kindheit der Protagonistin zum Todestag ihres Ehemannes, dann wieder zurück in die glückliche Zeit, als scheinbar alles gut zwischen dem Ehepaar lief.

Das ständige Hin- und Herwechseln zwischen den Zeit- und Ortsebenen kann einen schon sehr überlasten. Im Endeffekt liegt es dann an uns aus den gewonnenen Informationen und Erkenntnissen eine geradlinige Geschichte zu konstruieren. Da ist jede Menge Denkarbeit gefordert. Müsste ich etwas allgemein zu der Geschichte sagen, würde ich wohl antworten, dass sie keine typische Krimi-Geschichte ist. Sie endet nicht eindeutig und wir haben nicht das Gefühl, dass wir es mit einem richtigen Bösewicht zu tun haben. Es ist mehr als das. Je weiter wir mit den Interviews kommen, desto komplexer entfaltet sich die Geschichte. Wie schon angedeutet, geht es nicht nur um den Tod von Simon. Es geht um Hannah Smith, seine Ehefrau. Wir dringen immer tiefer in ihre Privatsphäre und Geschichte ein. Wir erfahren mehr über ihr Eheleben und wie sie Simon kennen gelernt hat. Dass es nicht immer alles kunterbunt und rosig gewesen ist. Wir werden mit dunklen Abgründen und Wahrheiten konfrontiert. Stückchenweise lüften wir die düsteren Geheimnisse unserer Protagonistin. Immer mehr Twists folgen. 

Das Ganze driftet immer mehr in die psychologische Schiene. Immer intensiver verstrickt man sich in ein psychologisches, dramatisches Spiel, bei dem Hannah die Fäden in den Händen hält. Sagt sie sie Wahrheit oder spielt sie mit uns? Können wir ihr glauben? Was können wir ihr glauben? Ist alles nur eine Farce? So geht es das ganze Spiel über und am Ende wird nicht mal eine ordentliche Auflösung geliefert. Was bleibt ist wilde Spekulation, mehrere Theorien, die niemals endgültig bewiesen werden können. Daher verdient „Her Story“ eindeutig den Titel „Mindfuck“-Game. Denn es spielt mit unserer Fantasie und unserem Verstand.



Gameplay:

Die Beschreibung der Story sollte nur einen kleinen Einblick in das Storytechnische liefern und als eine Art Einleitung fungieren. Das geniale Storytelling würde aber nicht funktionieren, wenn auch die Spielemechanik nicht mitmachen würde.

Wie kann man sich das Ganze eigentlich vorstellen? Stellt euch vor, ihr seid Polizeibeamter, geht an den Polizeirechner und durchstöbert die Datenbank mit verschiedenen aufgezeichneten Verhören eines Mordfalls aus dem Jahre 1994. Genau das ist nämlich die Ausgangssituation des Spiels. Wir sehen lediglich den flimmernden Bildschirm eines alten Computers und haben lediglich Zugriff auf die polizeiliche Datenbank, bei dem wir die Aufzeichnungen der Interviews mit Hannah Smith uns anschauen können. Doch leider ist aufgrund eines Missgeschicks keine Ordnung mehr zu finden. Die verschiedenen Interviews wurden auf vielen Videos festgehalten, leider sind sie nicht geordnet und auch nicht chronologisch gespeichert. Hier beginnt also die wahre Ermittlungsarbeit für uzns als Spieler. Wir müssen alle Videos, die den Mordfall 1994 betreffen finden und somit die Wahrheit dahinter lüften.

Wir öffnen das Fenster mit der Datenbank und finden ein Suchfeld, bei dem wir Begriffe eingeben können. Ich sagte zwar, dass es keinen Startpunkt gibt, aber der wird eigentlich schon gewissermaßen gegeben. Im Suchfeld steht bereits „MURDER“ und die dazugehörigen Videos erscheinen ebenfalls. Ich muss hinzufügen, dass alle Videos transkribiert wurden, also verschriftlicht sind. Wir können die Videos also mit Untertiteln anschauen, was ungemein behilflich ist, auch beim Recherchieren. Dadurch, dass alle Worte festgehalten worden sind, können und müssen wir nach wichtigen Key-Wörtern suchen, die uns voran bringen. Desto mehr wir solche wichtigen Schlüsselwörter finden, desto näher kommen wir der Wahrheit. Hilfreich ist es auch, dass wir selbst Schlüsselwörter den Beschreibungen der Videos hinzufügen können, was uns hilft das Chaos wieder in Ordnung zu bringen. Jedenfalls besteht die gesamte Spielmechanik daraus, Videos zu finden, diese anzuschauen, genau zu analysieren.

Wir müssen nicht nur die Fakten innerlich festhalten, die wir neu gewinnen, wir müssen auch Hannah genau unter die Lupe bringen. Wir achten auf Gestik, Mimik und Tonfall und müssen davon herleiten, ob wir ihren Worten trauen können oder nicht. Genau darin sehe ich auch den psychologischen Aspekt. Wie ein Psychologe ergründen wir das Innere der Protagonistin und nehmen alle Kleinigkeiten ihre Verhaltens wahr. Aus den Details puzzeln wir uns zusammen, mit welcher Person wir es zutun haben. Wir machen uns während des Spiels unser eigenes Bild von ihr. Wir hinterfragen ihre Aussagen, die vielleicht nicht mit ihrem Verhalten übereinstimmen. Große Fragezeichen erscheinen auf unseren Gesichtern, wenn sie sich merkwürdig verhält. Ich muss zugeben, dass ich öfter mal nicht aus ihr schlau geworden bin und auch nie so genau wusste, was nun stimmte und was nicht.

Doch zurück zur Ermittlungsarbeit. Wir haben also diese Interviews, die nicht chronologisch aufgezeichnet worden. Wir finden immer mehr davon und müssen selbst herleiten, wie sie zueinander stehen. Welche Videos wurden zu welchem Zeitpunkt gemacht? Wie passen sie zusammen? Man sollte genau auf das Datum schauen und überlegen, ob es nicht widersprüchliche Aussagen innerhalb der Videos gibt. Man führt sich also die Videos zu Gemüte und achtet genau darauf, was Hannah sagt. Wichtige Informationen halten wir in der Beschreibung fest. Dabei bin ich auch altmodisch vorgegangen. Ich wollte auf eine schnelle Art die Schlüsselwörter festhalten und habe instinktiv zum Notizbuch zurück gegriffen und sie dort nieder geschrieben. Manchmal kommt man gar nicht so schnell hinterher und muss sich die Videos öfter ansehen. Das ist sowieso Pflicht, weil man sich die Fakten immer wieder zuführen und darüber nachdenken muss.


Öfter entstehen dadurch solche „Aha“ oder „Moment-mal!“-Momente, die einen aufhorchen lassen. Geistesblitze entstehen vor allem aber dadurch, indem man seinen Grips selbst anstrengt. Man geht die bereits angeschauten Videos durch und muss außerdem filtern. Was sind die wichtigen Informationen? Was ist weniger relevant? Allein das fiel mir sehr schwer, weil ich versucht habe möglichst alles festzuhalten. Doch dann wird man nur verrückt. Oder man nimmt einzelne Erkenntnisse und fügt sie innerlich zusammen. Denn das muss man sowieso tun, das Spiel nimmt einem das nicht ab. So konstruiert man sich also IHRE Geschichte langsam zusammen und ordnet alles chronologisch.

Manchmal reicht es auch nicht, einfach nur die genannten Wörter einzugeben. Immer wieder muss man um die Ecke denken und eigene Wörter finden. Vor allem wird das wichtig, wenn wir so ziemlich am Ende sind und uns die Schlüsselwörter ausgehen. Das verführt einen dazu, auch einfach random Wörter einzugeben, bei denen man denkt, dass sie irgendetwas damit zutun haben.

Jedenfalls kann ich sagen, dass ich die gesamte Spielzeit über mächtig angestrengt und unter Strom war. Ich fand es unheimlich spannend, selbst zu recherchieren und vor allem die Zusammenhänge mir selbst herzuleiten. Ich habe ja mittlerweile schon viele Krimi- und Rätselspiele gespielt, aber so etwas ist mir bisher noch nicht unter gekommen. Genau genommen muss man sich fragen, ob es sich bei „Her Story“ wirklich um ein Spiel handelt. Schließlich gibt es kaum Gameplay. Aber dem muss ich widersprechen. Auch wenn das Spiel vielleicht mehr wie eine interaktive Geschichte erscheint, ist es noch immer ein wirkliches Spiel, auch wenn sich das Gameplay auf die Datenbank und das Recherchieren beschränkt. Für mich jedoch ist es etwas total Neues und auch Originelles. Weil hier das Spiel mit der Realität verschmilzt. Es erinnert mich an die sogenannten „Argumented Reality Games“, bei denen man Rätsel löst, die die Grenzen des Fiktionalen sprengen. Wir recherchieren hier durch das Internet, aber auch durch das Real Life. Wir sammeln Hinweise in der Realität, erhalten Briefe und Anrufe und begeben uns dennoch auf fiktive Suche nach der Wahrheit.

Auch wenn „Her Story“ doch etwas anders ist, hat es etwas mit diesen „ARGs“ gemeinsam. Nämlich, dass es Wirklichkeit irgendwo simuliert und doch fiktional bleibt. Das Recherchieren einer Datenbank mit echten Videos könnte aus der Realität stammen. Täglich durchforsten wir mit Google die Internetdatenbank auf der Suche nach bestimmten Informationen. Insofern fühlt sich das Spielen von „Her Story“ total echt an. Ähnlich wie beim Googeln müssen wir die richtigen Wörter eintippen, um unsere Infos zu bekommen. Halten wir die Begriffe zu weit, erhalten wir eine Unmenge an Webseiten, grenzen wir jedoch alles ein, indem wir eine Wortgruppe oder Sätze suchen, stoßen wir eher auf spezielle Informationen. So ist es auch bei „Her Story“. Anfangs dürfte es noch reichen, einzelne Wörter einzugeben, die aussagekräftig genug sind. Doch je weiter wir kommen, desto kreativer müssen wir sein. Zumal wir die Begrenzung haben, dass wir immer nur 5 Videos auf einmal schauen können, die restlichen Videos, die bei der Suche aufkommen, können wir nicht sehen. Das ist frustrierend, regt aber ungemein an, sich neue Wörter zu überlegen.


Optik und Musik:


Auch optisch ist das Spiel speziell gemacht. Hier sieht man besonders, dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwinden. Denn das Spiel ist nicht in einer üblichen Optik gehalten, die Videos sind wirklich alle echt. Eine reale Schauspielerin übernimmt die Rolle von Hannah Smith und überzeugt darin. Dadurch, dass wir es mit einer echten Person zu tun haben, kommt das Dramatische und Psychologische noch mehr zum Vorschein. Die Gestik, Mimik und die Stimme und Sprechweise sind alle real und werden sehr gut vermittelt. Diese Details machen das Spiel zu einem unverwechselbaren Spieleerlebnis. Mit der Zeit entwickelt man auch eine persönliche Bindung zur Protagonistin, sieht ihre ganzen Facetten und kann sie nicht als jemand Böses ansehen. 

Die restliche Optik ist schlicht, aber doch realistisch gemacht. Der Bildschirm mit dem Desktop ist dem Rechner aus den 1990er Jahren gut nachempfunden und man fühlt sich direkt als Polizeiermittler bei der Recherche. Was ich manchmal sehr unheimlich fand war, dass wenn man bestimmte wichtige Videos gesehen hat, eine flimmernde Reflexion der Person, die wir sind, sehen konnten. Das hat irgendwie den Gruselfaktor enorm erhöht. Auch musikalisch bleibt es eher minimalistisch und doch eindringlich zugleich. Die normale Hintergrundmusik ist zwar leise, hat aber einen gruseligen Unterton. Manchmal erklingen bestimmte Instrumentalstücke, manche heiter, manche wieder unheimlich. Jedenfalls tragen sie zur Atmosphäre auf alle Fälle bei.



Fazit:

Für mich steht fest, dass es eines der bisher spannendsten und originellsten Spiele überhaupt ist. Die Story ist sehr komplex und spannend gemacht und dürfte für viele Diskussionen und Überraschungen sorgen. Das alles wird überhaupt erst durch die echt coole, aber doch simple Spielemechanik ermöglicht. Man fühlt sich direkt mitten in der Ermittlungsarbeit wider, was dem Spiele eine gehörige Portion Realismus zusammen mit der Optik hinzufügt.

1 Kommentar:

  1. Mich hatte das Prinzip auch sehr interessiert, aber der Knackpunkt war natürlich: Nicht einmal deutsche Texte. Wenn ein kleines Studio so ein Spiel macht sehe ich ein das deutsche Sprachausgabe wohl zuviel verlangt ist, doch 2015 nochmal wie 1990 Englishe Texte durchlesen will ich nicht mehr wirklich.

    Ich habe aber das Lets Play dazu gesehen und hatte meinen Spaß. Wie du schon ansprichst ist das schöne am Spiel das man es sich selbst "zusammenpuzzelt" was auch eine gute Analogie ist: Das Spiel ist schlicht ein großes Puzzle, wir haben alle verfügbaren Teile in der Kiste (Datenbank), müssen uns aber nun selbst die Teile (Videos) raussuchen und das ganze zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Die Geschichte selbst ist nicht massiv neu oder das cleverste das ich je erlebt habe (muss dir also im Fazit etwas widersprechen) aber es ist erfrischend aufgezogen, ähnliches Spiel in der Art war "die versuchung - Tender loving care" was aber auch schon 10-20 Jahre auf dem Buckel hat

    http://www.giga.de/extra/netzkultur/specials/versunkene-schaetze-kennt-ihr-eigentlich.-die-versuchung/

    Hoffe diese Art Spiele setzt sich nun öfters durch, gefallen hat es für ein lets Play allemal ^^

    AntwortenLöschen