Polizeiliche Ermittlungsarbeit vom Feinsten...
Story:
Im
Jahre 1994 wird eine junge, britische Frau sieben Mal von der Polizei
verhört. Sie steht im Verdacht ihren Ehemann Simon Smith umgebracht
zu haben. In den insgesamt sieben Interviews erfahren wir Stück für
Stück die gesamte Wahrheit. Zumindest glauben wir das. Niemals wird
gänzlich offensichtlich, was nun wahr oder falsch ist. Wir erfahren
weitaus mehr als über den Tag, an dem Simon gestorben ist. Nicht
umsonst trägt das Spiel den Titel „Her Story“. Da das Spiel
hauptsächlich auf die Geschichte konzentriert ist, sie Dreh- und
Angelpunkt des Spiels ist, möchte ich natürlich nicht zu viel
verraten. Nur, dass die Art und Weise, wie die Geschichte
transportiert wird, sehr originell gestaltet ist. Es wäre nicht
falsch zu sagen, dass mich das Ganze an eine interaktive Geschichte
wie man es aus Visual Novels kennt erinnert. Und doch ist es komplett
etwas anderes. Es gibt keinen Anfangs- oder Endpunkt. Obwohl man
eigentlich die meiste Zeit über nur am Lesen ist, unterscheidet es
sich vom typischen „Ich lese mal einen Roman von vorne bis hinten
durch“. Die Erzählweise ist non-linear. Wir beginnen irgendwo im
nirgendwo, springen von der Kindheit der Protagonistin zum Todestag
ihres Ehemannes, dann wieder zurück in die glückliche Zeit, als
scheinbar alles gut zwischen dem Ehepaar lief.
Das
ständige Hin- und Herwechseln zwischen den Zeit- und Ortsebenen kann
einen schon sehr überlasten. Im Endeffekt liegt es dann an uns aus
den gewonnenen Informationen und Erkenntnissen eine geradlinige
Geschichte zu konstruieren. Da ist jede Menge Denkarbeit gefordert.
Müsste ich etwas allgemein zu der Geschichte sagen, würde ich wohl
antworten, dass sie keine typische Krimi-Geschichte ist. Sie endet
nicht eindeutig und wir haben nicht das Gefühl, dass wir es mit
einem richtigen Bösewicht zu tun haben. Es ist mehr als das. Je
weiter wir mit den Interviews kommen, desto komplexer entfaltet sich
die Geschichte. Wie schon angedeutet, geht es nicht nur um den Tod
von Simon. Es geht um Hannah Smith, seine Ehefrau. Wir dringen immer
tiefer in ihre Privatsphäre und Geschichte ein. Wir erfahren mehr
über ihr Eheleben und wie sie Simon kennen gelernt hat. Dass es
nicht immer alles kunterbunt und rosig gewesen ist. Wir werden mit
dunklen Abgründen und Wahrheiten konfrontiert. Stückchenweise
lüften wir die düsteren Geheimnisse unserer Protagonistin. Immer
mehr Twists folgen.
Das Ganze driftet immer mehr in die
psychologische Schiene. Immer intensiver verstrickt man sich in ein
psychologisches, dramatisches Spiel, bei dem Hannah die Fäden in den
Händen hält. Sagt sie sie Wahrheit oder spielt sie mit uns? Können
wir ihr glauben? Was können wir ihr glauben? Ist alles nur eine
Farce? So geht es das ganze Spiel über und am Ende wird nicht mal
eine ordentliche Auflösung geliefert. Was bleibt ist wilde
Spekulation, mehrere Theorien, die niemals endgültig bewiesen werden
können. Daher verdient „Her Story“ eindeutig den Titel
„Mindfuck“-Game. Denn es spielt mit unserer Fantasie und unserem
Verstand.
Gameplay:
Die
Beschreibung der Story sollte nur einen kleinen Einblick in das
Storytechnische liefern und als eine Art Einleitung fungieren. Das
geniale Storytelling würde aber nicht funktionieren, wenn auch die
Spielemechanik nicht mitmachen würde.
Wie
kann man sich das Ganze eigentlich vorstellen? Stellt euch vor, ihr
seid Polizeibeamter, geht an den Polizeirechner und durchstöbert die
Datenbank mit verschiedenen aufgezeichneten Verhören eines Mordfalls
aus dem Jahre 1994. Genau das ist nämlich die Ausgangssituation des
Spiels. Wir sehen lediglich den flimmernden Bildschirm eines alten
Computers und haben lediglich Zugriff auf die polizeiliche Datenbank,
bei dem wir die Aufzeichnungen der Interviews mit Hannah Smith uns
anschauen können. Doch leider ist aufgrund eines Missgeschicks keine
Ordnung mehr zu finden. Die verschiedenen Interviews wurden auf
vielen Videos festgehalten, leider sind sie nicht geordnet und auch
nicht chronologisch gespeichert. Hier beginnt also die wahre
Ermittlungsarbeit für uzns als Spieler. Wir müssen alle Videos, die
den Mordfall 1994 betreffen finden und somit die Wahrheit dahinter
lüften.
Wir
öffnen das Fenster mit der Datenbank und finden ein Suchfeld, bei
dem wir Begriffe eingeben können. Ich sagte zwar, dass es keinen
Startpunkt gibt, aber der wird eigentlich schon gewissermaßen
gegeben. Im Suchfeld steht bereits „MURDER“ und die dazugehörigen
Videos erscheinen ebenfalls. Ich muss hinzufügen, dass alle Videos
transkribiert wurden, also verschriftlicht sind. Wir können die
Videos also mit Untertiteln anschauen, was ungemein behilflich ist,
auch beim Recherchieren. Dadurch, dass alle Worte festgehalten worden
sind, können und müssen wir nach wichtigen Key-Wörtern suchen, die
uns voran bringen. Desto mehr wir solche wichtigen Schlüsselwörter
finden, desto näher kommen wir der Wahrheit. Hilfreich ist es auch,
dass wir selbst Schlüsselwörter den Beschreibungen der Videos
hinzufügen können, was uns hilft das Chaos wieder in Ordnung zu
bringen. Jedenfalls besteht die gesamte Spielmechanik daraus, Videos
zu finden, diese anzuschauen, genau zu analysieren.
Wir
müssen nicht nur die Fakten innerlich festhalten, die wir neu
gewinnen, wir müssen auch Hannah genau unter die Lupe bringen. Wir
achten auf Gestik, Mimik und Tonfall und müssen davon herleiten, ob
wir ihren Worten trauen können oder nicht. Genau darin sehe ich auch
den psychologischen Aspekt. Wie ein Psychologe ergründen wir das
Innere der Protagonistin und nehmen alle Kleinigkeiten ihre
Verhaltens wahr. Aus den Details puzzeln wir uns zusammen, mit
welcher Person wir es zutun haben. Wir machen uns während des Spiels
unser eigenes Bild von ihr. Wir hinterfragen ihre Aussagen, die
vielleicht nicht mit ihrem Verhalten übereinstimmen. Große
Fragezeichen erscheinen auf unseren Gesichtern, wenn sie sich
merkwürdig verhält. Ich muss zugeben, dass ich öfter mal nicht aus
ihr schlau geworden bin und auch nie so genau wusste, was nun stimmte
und was nicht.
Doch
zurück zur Ermittlungsarbeit. Wir haben also diese Interviews, die
nicht chronologisch aufgezeichnet worden. Wir finden immer mehr davon
und müssen selbst herleiten, wie sie zueinander stehen. Welche
Videos wurden zu welchem Zeitpunkt gemacht? Wie passen sie zusammen?
Man sollte genau auf das Datum schauen und überlegen, ob es nicht
widersprüchliche Aussagen innerhalb der Videos gibt. Man führt sich
also die Videos zu Gemüte und achtet genau darauf, was Hannah sagt.
Wichtige Informationen halten wir in der Beschreibung fest. Dabei bin
ich auch altmodisch vorgegangen. Ich wollte auf eine schnelle Art die
Schlüsselwörter festhalten und habe instinktiv zum Notizbuch zurück
gegriffen und sie dort nieder geschrieben. Manchmal kommt man gar
nicht so schnell hinterher und muss sich die Videos öfter ansehen.
Das ist sowieso Pflicht, weil man sich die Fakten immer wieder
zuführen und darüber nachdenken muss.
Öfter
entstehen dadurch solche „Aha“ oder „Moment-mal!“-Momente,
die einen aufhorchen lassen. Geistesblitze entstehen vor allem aber
dadurch, indem man seinen Grips selbst anstrengt. Man geht die
bereits angeschauten Videos durch und muss außerdem filtern. Was
sind die wichtigen Informationen? Was ist weniger relevant? Allein
das fiel mir sehr schwer, weil ich versucht habe möglichst alles
festzuhalten. Doch dann wird man nur verrückt. Oder man nimmt
einzelne Erkenntnisse und fügt sie innerlich zusammen. Denn das muss
man sowieso tun, das Spiel nimmt einem das nicht ab. So konstruiert
man sich also IHRE Geschichte langsam zusammen und ordnet alles
chronologisch.
Manchmal
reicht es auch nicht, einfach nur die genannten Wörter einzugeben.
Immer wieder muss man um die Ecke denken und eigene Wörter finden.
Vor allem wird das wichtig, wenn wir so ziemlich am Ende sind und uns
die Schlüsselwörter ausgehen. Das verführt einen dazu, auch
einfach random Wörter einzugeben, bei denen man denkt, dass sie
irgendetwas damit zutun haben.
Jedenfalls
kann ich sagen, dass ich die gesamte Spielzeit über mächtig
angestrengt und unter Strom war. Ich fand es unheimlich spannend,
selbst zu recherchieren und vor allem die Zusammenhänge mir selbst
herzuleiten. Ich habe ja mittlerweile schon viele Krimi- und
Rätselspiele gespielt, aber so etwas ist mir bisher noch nicht unter
gekommen. Genau genommen muss man sich fragen, ob es sich bei „Her
Story“ wirklich um ein Spiel handelt. Schließlich gibt es kaum
Gameplay. Aber dem muss ich widersprechen. Auch wenn das Spiel
vielleicht mehr wie eine interaktive Geschichte erscheint, ist es
noch immer ein wirkliches Spiel, auch wenn sich das Gameplay auf die
Datenbank und das Recherchieren beschränkt. Für mich jedoch ist es
etwas total Neues und auch Originelles. Weil hier das Spiel mit der
Realität verschmilzt. Es erinnert mich an die sogenannten
„Argumented Reality Games“, bei denen man Rätsel löst, die die
Grenzen des Fiktionalen sprengen. Wir recherchieren hier durch das
Internet, aber auch durch das Real Life. Wir sammeln Hinweise in der
Realität, erhalten Briefe und Anrufe und begeben uns dennoch auf
fiktive Suche nach der Wahrheit.
Auch
wenn „Her Story“ doch etwas anders ist, hat es etwas mit diesen
„ARGs“ gemeinsam. Nämlich, dass es Wirklichkeit irgendwo
simuliert und doch fiktional bleibt. Das Recherchieren einer
Datenbank mit echten Videos könnte aus der Realität stammen.
Täglich durchforsten wir mit Google die Internetdatenbank auf der
Suche nach bestimmten Informationen. Insofern fühlt sich das Spielen
von „Her Story“ total echt an. Ähnlich wie beim Googeln müssen
wir die richtigen Wörter eintippen, um unsere Infos zu bekommen.
Halten wir die Begriffe zu weit, erhalten wir eine Unmenge an
Webseiten, grenzen wir jedoch alles ein, indem wir eine Wortgruppe
oder Sätze suchen, stoßen wir eher auf spezielle Informationen. So
ist es auch bei „Her Story“. Anfangs dürfte es noch reichen,
einzelne Wörter einzugeben, die aussagekräftig genug sind. Doch je
weiter wir kommen, desto kreativer müssen wir sein. Zumal wir die
Begrenzung haben, dass wir immer nur 5 Videos auf einmal schauen
können, die restlichen Videos, die bei der Suche aufkommen, können
wir nicht sehen. Das ist frustrierend, regt aber ungemein an, sich
neue Wörter zu überlegen.
Optik
und Musik:
Auch
optisch ist das Spiel speziell gemacht. Hier sieht man besonders,
dass die Grenzen zwischen Realität und Fiktion verschwinden. Denn
das Spiel ist nicht in einer üblichen Optik gehalten, die Videos
sind wirklich alle echt. Eine reale Schauspielerin übernimmt die
Rolle von Hannah Smith und überzeugt darin. Dadurch, dass wir es mit
einer echten Person zu tun haben, kommt das Dramatische und
Psychologische noch mehr zum Vorschein. Die Gestik, Mimik und die
Stimme und Sprechweise sind alle real und werden sehr gut
vermittelt. Diese Details machen das Spiel zu einem unverwechselbaren
Spieleerlebnis. Mit der Zeit entwickelt man auch eine persönliche
Bindung zur Protagonistin, sieht ihre ganzen Facetten und kann sie
nicht als jemand Böses ansehen.
Die restliche Optik ist schlicht,
aber doch realistisch gemacht. Der Bildschirm mit dem Desktop ist dem
Rechner aus den 1990er Jahren gut nachempfunden und man fühlt sich
direkt als Polizeiermittler bei der Recherche. Was ich manchmal sehr
unheimlich fand war, dass wenn man bestimmte wichtige Videos gesehen
hat, eine flimmernde Reflexion der Person, die wir sind, sehen
konnten. Das hat irgendwie den Gruselfaktor enorm erhöht. Auch
musikalisch bleibt es eher minimalistisch und doch eindringlich
zugleich. Die normale Hintergrundmusik ist zwar leise, hat aber einen
gruseligen Unterton. Manchmal erklingen bestimmte Instrumentalstücke,
manche heiter, manche wieder unheimlich. Jedenfalls tragen sie zur
Atmosphäre auf alle Fälle bei.
Fazit:
Für
mich steht fest, dass es eines der bisher spannendsten und
originellsten Spiele überhaupt ist. Die Story ist sehr komplex und
spannend gemacht und dürfte für viele Diskussionen und
Überraschungen sorgen. Das alles wird überhaupt erst durch die echt
coole, aber doch simple Spielemechanik ermöglicht. Man fühlt sich
direkt mitten in der Ermittlungsarbeit wider, was dem Spiele eine
gehörige Portion Realismus zusammen mit der Optik hinzufügt.
Mich hatte das Prinzip auch sehr interessiert, aber der Knackpunkt war natürlich: Nicht einmal deutsche Texte. Wenn ein kleines Studio so ein Spiel macht sehe ich ein das deutsche Sprachausgabe wohl zuviel verlangt ist, doch 2015 nochmal wie 1990 Englishe Texte durchlesen will ich nicht mehr wirklich.
AntwortenLöschenIch habe aber das Lets Play dazu gesehen und hatte meinen Spaß. Wie du schon ansprichst ist das schöne am Spiel das man es sich selbst "zusammenpuzzelt" was auch eine gute Analogie ist: Das Spiel ist schlicht ein großes Puzzle, wir haben alle verfügbaren Teile in der Kiste (Datenbank), müssen uns aber nun selbst die Teile (Videos) raussuchen und das ganze zu einem Gesamtbild zusammensetzen. Die Geschichte selbst ist nicht massiv neu oder das cleverste das ich je erlebt habe (muss dir also im Fazit etwas widersprechen) aber es ist erfrischend aufgezogen, ähnliches Spiel in der Art war "die versuchung - Tender loving care" was aber auch schon 10-20 Jahre auf dem Buckel hat
http://www.giga.de/extra/netzkultur/specials/versunkene-schaetze-kennt-ihr-eigentlich.-die-versuchung/
Hoffe diese Art Spiele setzt sich nun öfters durch, gefallen hat es für ein lets Play allemal ^^