Das
Konzept von "Honne und Tatemae" dient dazu das
zwischenmenschliche Zusammenleben vieler Menschen angenehm zu
gestalten und Konflikte somit im Keim zu ersticken.
Honne
(jap. 本音)
: umfasst die eigentlichen Gefühle und Wünsche einer Person. Diese
können meist das Gegenteil der Erwartungen in der Gesellschaft
darstellen oder was entsprechend der sozialen Stellung von einer
Person erwartet ist. Wenn diese wahren Absichten und Einstellungen
auftreten, werden sie meist geheim gehalten. Nur den engsten
Vertrauten offenbart man sie.
Tatemae
(建前,
„Maskerade“): damit ist das Verhalten und auch die Äußerungen,
die man öffentlich macht gemeint. Sie sind konform mit den
Erwartungen der Gesellschaft und den Rollenvorstellungen. Aber! Sie
müssen nicht mit "honne" übereinstimmen. Dass Japaner
also sich sozusagen verstellen nur um der Harmonie Willen, sieht man
oft, indem sie ein Lächeln oder eine bewusst ausdruckslose Mimik
zeigen.
Die
Differenzierung von "Honne" und "Tatemae" findet
man grundsätzlich nicht nur in Japan, sondern generell in allen
Kulturen jedoch in verschiedenen Ausprägungen. Der Kern dahinter
ist, dass das „wahre Ich“ und das „gesellschaftliche Ich“ in
Widerspruch sein können, aber das Ganze aufgelöst wird, indem man
also eine gute Miene zum bösen Spiel macht, wie es die Deutschen
wohl sagen würden. In der Gesellschaft ist es notwendig, dass man
sich anpasst, um Konflikte und Probleme zu vermeiden. Da ist es also
besser sich zu verstellen, damit die Harmonie bewahrt wird. Das kennt
sicherlich auch ihr: Ihr werdet von jemanden zu einer Party
eingeladen, habt aber eigentlich keine Lust. Bleiben zwei
Alternativen: Entweder lehnt man höflich ab indem man eine Ausrede
findet („Ach du, sorry, ich kann nicht kommen, ich hab noch X und Y
zu tun...Dabei würde ich echt gerne kommen, wirklich!“) oder man
zwingt sich eben doch hinzugehen. Fakt ist jedoch, dass bei beiden
Entscheidungen, die wahren Absichten verborgen bleiben. Doch beim
ersteren sieht man, dass eher die Entscheidung für einen selbst zum
Ausdruck kommt. Man sieht, dass der Konflikt „personales Ich vs.
Soziales Ich“ in jeder Kultur vor kommt, aber in Japan ist das
ganze noch eine Spur spezieller.
Japaner würden eher letzteres tun, um die Harmonie zu behalten, weil selbst solche höflichen Ablehnungen doch ein schlechtes Bild machen. Das bedeutet, dass man sich immer für die Gruppe entscheiden muss. Denn besonders in Japan spielt dies eine große Rolle, da hier die Gesellschaft generell dem Individuum höher gestellt wird. Was der einzelne denkt und fühlt ist nicht wichtig und sollte nicht ausgedrückt werden, wenn dies den Frieden der Gruppe oder des Kollektivs stört. Das führt also dazu, dass man immer Konsens sucht. Hier ist der Unterschied zu Europa zu sehen. Wir sind es gewohnt, auch mal unterschiedlicher Auffassung zu sein, zu diskutieren, mehrere Meinungen zu akzeptieren und Kritik zu äußern. Und vor allem wird es eher toleriert, auch mal Konflikte auszutragen. In Japan dagegen undenkbar. Kein Wunder also, wenn es hier zu wenig Konflikten kommt. Nicht, weil es wenig gibt, sondern weil sie oftmals nicht ausgetragen werden. Die Harmonie bleibt bestehen und das kostet einen hohen Preis: Individuelle Gefühle und Gedanken werden unterdrückt, was zu psychischen Problemen führen kann.
Tatemae findet man vor allem in relativ unvertrauten, oberflächlichen Beziehungen. Doch je mehr man sich mit jemanden anfreundet, je mehr man jemanden kennen lernt, desto mehr öffnet sich auch dieser. Honne wird erst dann sichtbar, wenn man wirklich jemanden sehr lange und gut kennt. Aber es gibt noch eine andere Möglichkeit Honne anzutreffen: Beim gelassenen Trinken nach dem Feierabend mit Kollegen. Dadurch, dass die Atmosphäre deutlich lockerer ist und nicht selten Saufgelage veranstaltet werden, kann es schnell vorkommen, dass Konflikte, die im normalen Alltag verborgen bleiben, zum Vorschein kommen.
Was
bedeutet dies also? Ich gebe euch mal einige Beispiele. Dadurch, dass
die wahre Haltung verborgen bleibt, bleibt das Gegenüber
undurchschaubar. Das führt dazu, dass man am Ende gar nicht so recht
weiß, was andere von einem denken oder halten. Ist das breite
Grinsen der Verkäuferin echt? Sollte man übertrieben positive
Komplimente nun als wahr erachten? Ein Angestellter verbringt Stunden
damit mit Kollegen und seinem Boss zu feiern und Karaoke zu singen,
obwohl ihm sein "Honne" sagt, dass er eigentlich lieber
Zuhause bei seiner Frau und seinen Kindern sein möchte. Ein Mädchen
kriegt von ihren Verwandten gesagt, dass sie doch ein „total
hübsches“ Mädchen ist. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie
eigentlich hässlich, normal oder wahrlich schön ist. Es wird
einfach nur aus Höflichkeit getan. (Im Übrigen kenne ich das sehr
gut durch meine vietnamesischen Verwandten. Ständig habe ich gesagt
bekommen, wie schön und hübsch ich doch sei, was echt übertrieben
war. Ich selbst würde mich als durchschnittlich bezeichnen. Aber
gut...Ich dachte mir schon, dass es einfach nur so gesagt wird, weil
es die Harmonie stärkt und Höflichkeit meint. Aber man kommt schon
so ins Zweifeln, was man nun als wahr oder als nicht wahr auffassen
sollen, ne?)
Eine
Kellnerin wird von einem Kunden zu Unrecht beschimpft und könnte ihn
am liebsten durch die Decke hauen. Stattdessen bringt sie ihm ein
gekünsteltes Lächeln entgegen, entschuldigt sich und versucht ihn
mit ruhigen Worten zu besänftigen, was dem "Tatemae"
entspricht. Ein weiteres Beispiel: Nachdem man jemanden bei sich
eingeladen und eine schöne Zeit verbracht hat, sagt vielleicht der
Bekannte: "Nächstes Mal, komm mich doch mal besuchen."
Wenn man dann versucht, eine Zeit zum Treffen zu finden, versucht der
Bekannte alles Mögliche um das zu verhindern. Das ist ein typisches
Beispiel, wie Tatemae sich ausdrückt. Der Bekannte hat es nur aus
Höflichkeit gesagt und will eigentlich nicht wirklich, dass man ihn
besucht. Man sieht also, dass das Konzept nicht nur in Situationen
wichtig ist, in denen jede Zeit eine Bombe hoch fliegen könnte,
sondern auch generell um eine gute Beziehung zum Schein aufrecht
zuerhalten oder Konflikte vorzubeugen.
Für
das gegenwärtige Japan stellt dies jedoch ein zunehmendes Problem
dar, da vor allem die jüngere Generation immer weniger Wert darauf
legt, was man an den jüngsten Erscheinungen Hikkikomori und
parasitären Singles erkennen kann. Immer mehr junge Leute streben
danach sich individuell zu entfalten, was nur möglich ist, indem sie
der "Honne" Ausdruck verleihen.
Was sind weitere negative Folgen? Indem man sein wahres Ich nicht mehr öffentlich zeigen kann, entsteht im Inneren eine Spannung und es kann seelisch sehr schwer sein, die Maskerade zu halten. Wenn es keine Möglichkeit für einen Ausgleich gibt, können Menschen unter diesem Druck zugrunde gehen. Ein schönes Beispiel aus dem Anime-Bereich zeigt sich bei „Kokoro Connect“, wo eine Figur (hab den Namen leider vergessen), sich ständig verstellt, um ihrem tyrannischen Stiefvater zu gefallen. Zunehmend hält das Mädchen diese Fassade auch gegenüber ihren Freunden aufrecht. Bis zu dem Punkt, wo sie nicht mehr weiß, wer sie wirklich ist. Weil sie ständig das "Ich", was die anderen wollten, nachgeahmt hat. Daran sieht man, wie wichtig es ist, seinem eigenen Ich Freiraum zu geben. Möglichkeiten um dem Druck zu entkommen ist bspw. sich dem Trinken hinzugeben, exzessive Hobbys zu betreiben, Pachinko zu spielen etc. Das sind alles Dinge, die eigentlich von der Gesellschaft nicht gern gesehen werden.
Bedeutet
das also, dass man prinzipiell davon ausgehen muss, dass Japaner
lügen, nur um die Harmonie zu wahren? Nach westlicher Perspektive
würde man denken, dass Japaner ganz schön hinterhältig sind, weil
sie ja eigentlich nur lügen. Aber innerhalb der japanischen
Gesellschaft ist as soweit etabliert, dass man das Prinzip nicht
hinterfragt, sondern als gegeben ansieht. Tatemae ist nicht gleich
Lügen, es dient einem wichtigen Ziel: Die Harmonie bleibt bestehen
und das Gesicht des Einzelnen und der Gruppe wird bewahrt. Dies wird
insofern also nicht als negativ betrachtet, weil das Belügen etwas
mit „Honne“ zu tun hat. Aber „Honne“ sollte eben nicht
gezeigt werden, insofern ist es gut, wenn man es versteckt. Wenn man
jedoch „Honne“ zeigt, also aus unserer Sicht die Wahrheit sagt,
und das nicht gesellschaftskonform ist, ist es nicht ehrenhaft.
Manchmal ist es also besser, die Wahrheit zu verschweigen.
Ehrlichkeit gehört also scheinbar nicht zu den Werten Japans.
Stellt
sich mir nun folgende Frage: Was ist nun besser? Das
harmoniebedürftige Konzept Japans oder unsere Kommunikationsweise,
in der Konflikte hochkommen, dafür aber persönliche Meinungen sich
entfalten können? Erstmal ist das schwierig zu beantworten und hängt
davon ab, in welcher Gesellschaft man aufgewachsen ist und welche
Werte man als wichtig erachtet. Ist es einem wichtig, dass sich alle
verstehen, dann würde man wahrscheinlich eher zum Harmoniekonzept
tendieren. Ist einem die Wahrheit um jeden Preis und auch der
Ausdruck der wahren Haltung wichtig, würde man das europäische
Prinzip befürworten. Ich persönlich tendiere womöglich eher zu
Tatemae. Denn ich sehe das immer wieder im Alltag. Um den anderen
nicht zu verletzen, verberge ich meine wahren Gedanken und meine
Kritik. Insofern denke ich eher an den anderen, als an mich selbst.
Aber bedeutet es, seine wahren Gedanken preiszugeben, egoistisch zu
sein? Nicht unbedingt. Ich finde, es hängt immer von der Situation
ab. Wenn es kontraproduktiv ist und es wichtiger ist, dass die Gruppe
zusammenhält, sollte man seine kritischen Stimmen im Kopf
ausschalten. Merkt man aber, dass es so nicht weiter geht und man auf
jeden Fall seine Meinung preisgeben muss, dann sollte man das tun.
Wie seht ihr das? Was haltet ihr von Honne-Tatemae? Und wie würdet
ihr euch verhalten?
Hey Laniify,
AntwortenLöschendas hier passt zwar jetzt gar nicht zu deinem Post, aber nächsten Freitag möchte ich eine Manga-Lesenacht veranstalten und wollte fragen, ob du mitmachen möchtest...?
Weitere Infos auf meinem Blog:
awkward-dangos.blogspot.de/2015/09/ankundigung-manga-lesenacht-am-nachsten.html
Liebe Grüße,
Lena :)
Danke fuer die Einladung erstmal. :) leider kann ich heute nicht, aber ein anderes Mal gerne. :)
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