Story:
Ein Traum, in dem man
vom Himmel fällt und anschließend das Licht der Welt erblickt. Die
Protagonistin Rakka schlüpft eines Tages aus einem großen Kokon in
Old Home und wird von einer Gruppe von Mädchen und Frauen mit
kleinen Flügeln an deren Rücken und Heiligenscheinen über deren
Köpfen begrüßt. Bald erhält auch Rakka ihre eigenen Flügel sowie
ihren Heiligenschein und muss sich fortan Arbeit in der
nächstliegenden Stadt von Grie suchen. Sie ist eine Haibane, kein
Mensch, aber auch kein Engel, deren Existenz und alles drumherum bis
zum Schluss noch schleiferhaft bleiben soll. Bald schon erkennt sie,
dass die gesamte Welt, in der sie lebt, von einer Mauer umgeben ist,
die niemand außer die mysteriösen Toga hinter lassen können...
Der
Grundgedanke hinter Haibane Renmei hat mich dazu veranlasst in diese
wundersame Welt einzutauchen. Denn nicht alle Tage hört man von
engelsgleichen Wesen, die eher den Menschen als den gottähnlichen
Geschöpfen ähneln und die in einer geheimnisvollen Welt mit ihrem
eigenem Schicksal hadern und nach ihrem Lebenssinn suchen. Genau
darum geht es schließlich auch in diesem Anime. Von Anfang an wird
eine mysteriöse Atmosphäre aufgebaut, allein schon dadurch, dass
wir den Traum von Rakka, wie diese vom Himmel herab fällt,
mitverfolgen können. Wir beginnen uns selbst sehr viele Fragen zu
stellen. Was hat es mit den Träumen, die die Haibane vor ihrer
„Geburt“ haben, auf sich? Es erhärtet sich einfach der Eindruck,
dass dahinter eine tiefere Bedeutung stecken muss. Denn diese Träume
sind die einzigen Erinnerungen, die die Haibane in ihr neues Leben
mitnehmen. Deswegen werden sie auch immer nach ihnen benannt.
Jegliche andere Erinnerungen an ein anderes Leben bleibt ihnen
verwährt. Dennoch halte ich und viele andere Rezipienten auch daran
fest, dass die Haibane bereits ein anderes Leben gelebt haben müssen.
Es spricht einfach so vieles im Anime dafür. Weiterhin habe ich mich
wie Rakka gefragt, was die Haibane überhaupt sind. Sie können auf
keinen Fall wirklich Menschen sein. Man könnte sie dem Aussehen
entsprechend mit Engel vergleichen und doch haben sie so viel
Menschlichkeit, dass dies auch nicht zutreffen kann. Für mich sind
Engel eher erhabene, mysteriöse Wesen, die von Gott gesandt werden.
Wer oder was die Haibane sind, konnte ich bis heute nie ganz
ergründen, genauso wenig, woher sie kommen und warum sie überhaupt
existieren. Die Geschichte wartet aber auch noch mit anderen
Geheimnissen u.a. die Stadt selbst mit ihren Mauern, die mysteriösen
Toga, der Tag des Abflugs usw. Die Handlung bietet auf jeden Fall
genug Material zum Selbstnachdenken, was ich sehr wert schätze.
Jedoch muss ich sagen, dass mich nicht alles bei der
Umsetzung der Inhalte überzeugt hat. Das liegt nämlich daran, dass
die Handlung erst mal grob in zwei Abschnitte unterteilt werden kann.
Im ersten Abschnitt wird man die geheimnisvolle Welt der Haibane
Renmei eingeführt, wobei einem vieles aus dem Alltag selbst vertraut
ist. Das Leben in Old Home wird als ziemlich idyllisch dargestellt,
ein bisschen zu idyllisch wenn ihr mich fragt. Vom Anfang bis zum
Ende wirkt die Geschichte eher slice-of-life-mäßig, was an sich
nicht weiter schlimm ist. Ich habe ja nichts gegen das Genre an sich.
Aber ich muss sagen, dass es einfach zu friedlich war, sich alles
anzuschauen, ohne wirkliche Konflikte oder Sonstiges, was für mich
dann doch eher einen langweiligen Eindruck machte. War ja nett, dass
man einen ausführlichen Einblick in diese eigene Welt erhalten hat,
aber es hat sich für mich eher unschön gestreckt, das hätte man
durchaus etwas verkürzen können. Wahrscheinlich wollte man gerade
damit bezwecken, dass Old Home und alles was sich innerhalb der
Mauern befand, als paradiesisch empfunden wurde, um später eben die
Schattenseiten aufzuzeigen. Ich muss aber dazu sagen, dass es nicht
vollends langweilig war, da immer eine kleine Tendenz geheimnisvoller
Aura mitschwang, eben aber nicht zu sehr.
Richtig interessant
wurde es leider erst ab der Hälfte des recht kurzen Animes. Denn die
Geschichte entfaltet nur in einem langsamen Tempo ihr wirkliches
Potenzial. Sie nimmt sich Zeit um dafür umso eindrucksvollere
Momente zu erschaffen, die einem so schnell nicht mehr aus dem Kopf
gehen.
Und hier warne ich schon einmal vor, es wird nämlich
richtig tragisch und deprimierend zugleich. Besonders das Ende
enthält eine gehörige Portion Melancholie und eine depressive
Atmosphäre, was ich aber gelungen fand. Die zweite Hälfte stellte
für mich den Gegenpart zur idyllischen Stimmung im ersten Teil dar,
wirkte dadurch noch extremer und hat eben die manchmal aufkommende
Langeweile wieder ausgeglichen. In der zweiten Hälfte werden endlich
auch einmal mehr Fragen beantwortet und wir blicken hinter die
Fassade der schönen, glücklichen Welt der Haibane und erkennen nun,
worum es wirklich geht. Hier werden recht philosophische
Fragestellungen berührt u.a. warum existieren wir? Was ist der Sinn
unseres Lebens? Weiterhin wird als zentrales Thema Schuld und Sühne
behandelt. Neben den philosophischen Themen werden aber besonders
auch religiöse Elemente angesprochen wie Vergebung, Erlösung,
Marter, Glaube usw. Man merkt schon bereits mit der Anspielung an
Engel, dass das gesamte Setting sehr an das Christentum angelegt ist.
Meine Theorie zur Klärung der Existenz der Haibane ist
folgende:
Die Haibane waren ursprünglich ganz normale Menschen,
die aber durch tragische Art und Weise aus dem Leben geschieden sind
(z.B. durch Suizid). Irgendwie müssen einige der verfluchten Haibane
besondere Schuld auf sich geladen haben, die sie im Laufe ihrer
Existenz als Haibane einsehen und wieder gut machen müssen. Deswegen
müssen sich die Haibane ja auch Arbeit suchen, um dem Wohle der
Menschen zu dienen und für ihre Sünden zu büßen. Wahrscheinlich
ist das alles eine Art der Charakterentwicklung, die eigenen Sünden
sich einzugestehen und im Ausgleich dafür Gutes zu tun. Wenn sie
nämlich ihre Aufgaben so gut machen wie es verlangt wird, erhalten
sie ihre Erlösung und verabschieden sich von ihrem Dasein als
Haibane. Das wäre demnach also der Tag des Abflugs, wenn eine
Haibane sich endlich von ihren Sünden loslöst, keine Angst mehr hat
und in Frieden ruhen kann. Und die Haibane die eben nicht die
aschgrauen Flügel haben, sind diejenigen, die besonders sündhaft in
ihrem vorherigen Leben gewesen sein müssen. Sie haben es besonders
schwer, da bei ihnen die Wahrscheinlichkeit, dass ihnen vergeben und
sie erlöst werden, sehr gering ist, aber eben nicht unmöglich. Ich
fand in dem Zusammenhang ganz interessant, dass ein Sündiger, der
sich selbst seine Sünden eingesteht, kein Sündiger mehr ist. Wenn
man also seine Sünden einsieht, kann man erlöst werden. So ähnlich
ist es ja auch, wenn jemand Reue zeigt, kann ihm vergeben werden.
Das
nennt man dann „Circle of Sin“. Ein letzter Erklärungsversuch
soll den Träumen der Haibane zu kommen. In den Träumen werden die
Sünden der Haibane verarbeitet und dient ihnen somit als
Anknüpfungspunkt für ihr weiteres Dasein. Sie sollen sich durch
ihre Träume an ihre Sünden erinnern und an ihnen arbeiten. Wie im
echten Leben dienen Träume schließlich auch zur Verarbeitung von
Konflikten oder schlimmen Erlebnissen nicht wahr?
Das wäre
nur eine möglich Interpretation, insgesamt lässt die Geschichte
sehr viel Deutungsfreiraum, da auch keine expliziten Antworten
gegeben werden. Und gerade das liebe ich eben an solchen Animes, dass
sie einem immer und immer wieder zum Nachdenken anregen. Und doch
habe ich für einige Mysterien in dem Anime keine wirklichen
Antworten gefunden, wodurch die Geschichte nach wie vor eine
geheimnisvolle Anziehungskraft besitzt. Nicht zuletzt werden auch
einige schöne Botschaften fürs Leben vermittelt. Eine wäre, dass
jemand der Schlechtes getan hat, immer eine zweite Chance erhalten
kann und nicht für immer verdammt ist.
Charaktere:
Für
mich war der Cast an Charakteren überschaubar, jedoch hat man sich
nicht die Mühe gegeben auf jede Figur wirklich einzugehen. Während
Rakka und Reki als die zwei Hauptfiguren wirklich Tiefe erhalten,
waren die anderen restlichen Figuren für mich zwar sympathisch aber
doch recht archetypisch.
Besonders Reki war für mich ein sehr
interessanter Charakter. Anfangs hielt ich sie für eine sorgenvolle
Mutterfigur, die einerseits manchmal recht kühl und einzelgängerisch
wirkte, aber doch ein sehr großes Herz für diejenigen zeigte, die
sie gern hatte. Später stellte sich heraus, dass sie eben doch so
einige düstere Geheimnisse hatte und mit ihrem eigenen Schicksal
haderte und das eben nie wirklich anderen zeigte. Rakka dagegen ist
das naive Sonnenscheinchen, was aber eher ihre Gefühle offenbart und
auch immer sehr viel leidet. Sie ist immer so besorgt und hilfsbereit
gewesen. Ich fand beide Charaktere einfach nur schön und habe sie
sehr lieb gewonnen.
Zeichenstil:
Das Optische des
Animes hat mir sehr zugesagt und hat auch gut zur Thematik des Animes
gepasst. Mich hat der Anime aufgrund seiner blasseren Farben an
Aquarell-Malerei erinnert. Die Hintergründe haben wirkliche Details
vermisst und doch hat das gerade zum Setting gepasst. Die Figuren
sehen aus wie aus einem selbst gemalten Bilderbuch. Der Anime
bediente sich eher wärmeren, besonders ausgeprägt Erdfarben, die
noch einmal mehr das Harmonische des Animes unterstrichen. Das
Charakterdesign kannte ich bereits aus Lain und hatte ebenso etwas
Besonderes, was man nicht überall findet.
Musik:
Die
Musik war diesmal wirklich einwandfrei und selbst die Backgroundmusik
ist mir aufgefallen und klang einfach super in meinen Ohren. Sie hat
immer perfekt zur jeweiligen Stimmung gepasst und diese noch
authentischer rüber gebracht. Meist zeichnet sich die
Backgroundmusik durch ruhige und doch herzzerreißende Klänge aus,
die einen echt zum Weinen bringen können. Auch das Opening und das
Ending haben eine verträumte Atmosphäre aufgebaut und das Ganze
schön abgerundet. Immer wenn ich mir die Musik von Haibane Renmei
anhöre, muss ich an die Tragik hinter der Geschichte und den Figuren
zurück denken und krieg ganz feuchte Augen.
Unterhaltungswert:
Wie
bereits gesagt fand ich die erste Hälfte des Animes eher schleppend
und langweilig. Und zwar bis zu dem Punkt, dass ich die Serie beinahe
gedropped hätte. Aber in meinem Inneren hatte sich einfach das
Bestreben entwickelt, weiter zu schauen, da ich die ganzen
Geheimnisse aufdeckten wollte und ich schon bereits ahnte, dass viel
Potenzial in dem Anime lag. Ich bin wirklich froh, dass ich
durchgehalten habe und wurde ja dann mit der zweiten besseren Hälfte
des Animes belohnt. Ab hier wurde alles viel interessanter, aber eben
auch sehr viel ernster und trauriger. Erst hier entfaltet der Anime
sein wirkliches Potenzial und kann einen emotional und geistig gut
fesseln. Die Stimmung schlägt fast schlagartig um und somit auch
meine Aufmerksamkeit. Ich konnte mich wirklich gut in die zwei
Hauptfiguren hinein versetzen und dementsprechend habe ich auch ihre
Leiden miterleben dürfen. Hinzu kommt, dass ich von Natur aus sehr
nah am Wasser gebaut bin und versank dadurch vollkommen in dieser
Melancholie, die der Anime so gut ausstrahlte. Selten habe ich so
viel wirkliche Tragik in einem Anime mitfühlen dürfen und bin
wirklich begeistert gewesen. Der Anime konnte mich tief in meinem
Herzen sehr berühren, hat mich zum Nachdenken angeregt und selbst
nachdem ich den Anime abgeschlossen hatte, wollte ich weiter
philosophieren und habe im Internet weiter recherchiert.
Fazit:
Haibane Renmei ist ein
Geheimtipp für all diejenigen, die anspruchsvolle, tragische
Geschichten mögen und gerne philosophieren. Jedoch warne ich vor
einem Überschuss an Melancholie und vor der etwas langweiligen
ersten Hälfte des Animes. Wer sich aber auf den Anime einlässt,
wird nicht enttäuscht werden.
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