Heute befasse ich mich mal wieder mit einem Thema, worüber man richtig gut diskutieren kann, weil es einfach sehr normativ gefärbt ist. Es geht heute um die Frage, was einen Manga oder Anime als einen Klassiker auszeichnet bzw. welche Kriterien überhaupt erfüllt werden müssen, bevor man ein Werk als Klassiker bezeichnen kann.
Erst einmal muss man sich mit dem Begriff „Klassiker“ auseinandersetzen, um überhaupt zu verstehen, worüber ich mit euch diskutieren möchte.
Ursprünglich fasst man etwas als „klassisch“ auf, wenn es typische Merkmale besitzt also in einer Reinform vorliegt.
Doch wenn wir von „Klassiker“ sprechen. geht es um etwas anderes. Merkmale von Klassikern sind laut Wikipedia folgende:
• eine lange überregionale Bekanntkeit, ist ebenfalls auch verschiedenen Generationen bekannt
• ein gewisser Traditionswert
• ein hoher Wiedererkennungswert
• eine hohe Qualität
• Innovationspotential
• Einfluss der Kultur
• und bei Texten gilt insbesondere: Zeitlosigkeit der Themen wie Liebe, Hass, Familie, Abenteuer und Widerstand
Es müssen nicht alle Kriterien erfüllt sein, aber viele treffen auf den einen oder anderen Klassiker schon zu. Darüber hinaus werden zumindest aus kulturgeschichtlicher Sicht Werke als Klassiker bezeichnet, die eine besondere Bedeutung besitzen. Vor allem in der Literaturwissenschaft hat sich dann ein Kanon an Texten gebildet, den man auch als Weltliteratur bezeichnen kann. Hier geht es also um Werke, die weltweit große Bekanntheit genießen und als qualitativ hochwertig angesehen werden.
Zieht man noch weitere Quellen für die Definition des Begriffes heran, zeigen sich weitere Parallelen. Ein Klassiker ist ein Werk, der mustergültig ist und hoch angesehen wird. Außerdem ist er auch mit Erfolg verbunden. Darüber hinaus gibt es eigentlich in jedem Bereich der Kultur Klassiker, ob nun in der Literatur, Musik, Philosophie oder auch im Sport. Klassiker findet man also fast überall.
Wann kann man einen Manga/Anime als Klassiker bezeichnen?
Nun stellt sich mir die Frage, ob man diesen Begriff ebenfalls auch auf den Bereich und Anime anwenden kann? Sicherlich funktioniert dies auch und darum frage ich mich ebenso, ob man so eine Art Kanon von Manga und Anime zusammen stellen kann, der vergleichbar ist mit dem der Weltliteratur. Ist das möglich und auch sinnvoll?
Faktor 1: Zeitlosigkeit und Nostalgie
Mir ist aufgefallen, dass man Anime und Manga mit drei Aspekten assoziiert, wenn man sie auch als „Klassiker“ bezeichnet. Einerseits werden damit Werke gemeint, die bereits wirklich sehr alt sind, was die Merkmale „generationsübergreifend“ und „lange Tradition“ umfasst. Es handelt sich um Manga und Anime, die also trotz ihres Alters noch immer beliebt sind und deren Stellenwert sich nicht verändert hat. Sie können immer wieder geschaut werden und werden dadurch niemals „alt“ oder „unmodern“. Sie besitzen eine Zeitlosigkeit, meist bezogen auf die Themen, Motive und Handlungen, weswegen sie immer wieder rezipiert werden. Das ist so ähnlich wie bei Märchen, die auch heute noch immer gerne gelesen oder anders aufgenommen werden nur mit dem Unterschied, dass Klassiker im Manga und Anime Bereich meist in ihrer alten Form erhalten bleiben. Es gibt aber auch einige Beispiele, bei denen Neuauflagen erbracht werden, was jüngst bei „Sailor Moon“ der Fall ist.
Faktor 2: Die Popularität
Eine zweite Herangehensweise an sogenannte Anime- und Mangaklassiker wäre die, dass man sich auf solche bezieht, die einfach große Popularität besitzen, also länderübergreifend konsumiert werden und ihnen dementsprechend eine hohe Qualität zugewiesen wird. Das zeichnet sich besonders durch Ausdrücke wie „Anime, die man gesehen haben sollte“ und „die besten Anime und Manga aller Zeiten“ aus. Hier geht es also weniger um die Zeitlosigkeit und das Alter, sondern mehr um die Qualität, was ebenfalls mit der erwähnten Erklärung von Klassikern Überschneidung findet.
Was ich aber daran problematisch finde ist, dass Popularität und Erfolg 1:1 mit Qualität gleichgesetzt wird. Doch nur weil etwas beliebt ist, sagt das noch lange nichts über die wahre Qualität aus, denn die Beliebtheit hängt ja von den Konsumenten ab, die wie ich meine, nicht unbedingt die fachliche Kompetenz besitzen, Werke wirklich kritisch zu begutachten. Es sind keine sagen wir mal sachlichen Beurteilungen, die dann den Erfolg begründen, sondern eher subjektive Meinungen. Nur weil viele Anime X und Y toll finden, heißt das noch lange nicht, dass der auch wirklich gut ist. Wir glauben es, weil wir davon ausgehen, dass die Mehrheit schon Recht hat. Doch oft wurde in der Geschichte schon bewiesen, wir sehr sich die Masse irren kann.
Natürlich will ich nicht leugnen, dass die Popularität und der Erfolg sicherlich wichtige Faktoren für die Kennzeichnung als Klassiker dienen, doch sie allein als Kriterien anzusehen, halte ich für kritisch. Fakt ist aber, dass Klassiker doch meist solche sind, die auch von vielen gekannt werden. Das Wissen über sie ist kulturell verankert und wird immer wieder weitergegeben. Manga und Anime, die nicht lange im Rampenlicht stehen, werden gewiss nicht zu Klassikern. Nur solche, die auch länger konsumiert und dann auch länderübergreifend, können auch als Klassiker angesehen werden, insofern ist das schon ein wichtiges Merkmal.
Doch was genau ist jetzt nun der Kern einer solchen Aussage wie „Anime/Manga, die man kennen sollte?“ Damit wird suggeriert, dass sie sozusagen zur Allgemeinbildung gehören. Über sie nichts zu wissen, wäre ein Schande. Für jeden guten Experten in Sachen Anime und Manga gehören diese Klassikerwerke einfach dazu. Es sind Empfehlungen und Vorschläge der Community mit der Intention, eben diese besonderen Werke zu vermitteln. Insofern haben wir es also mit kultureller Vermittlung zu tun. Dahinter steckt die Aufforderung sich damit zu befassen und doch bleibt außen vor, weswegen man nun solche angeblichen Klassikern kennen, gelesen oder geschaut haben muss. Man sieht auf etlichen dazugehörigen Seiten Vorschläge und auch solche Top-Listen, die einen regelrecht einschüchtern. Muss ich wirklich all diese Werke kennen und konsumiert haben? Und zu welchem Zweck? Fühle ich mich danach besser oder gebildeter? Oder dient es nicht eher dazu, dass ich mich mit guten qualitativen Werken unterhalten lassen kann?
Es ist einfach ein Mittel zur Eingrenzung der Besten der Besten. Man trennt also die weniger guten oder durchschnittlichen Werke von den klassischen und guten Werken. Hier hätten wir also den bewertenden Faktor mit hinein. Nicht nur wissen wir was gut ist, sondern dass alles andere nicht so gut ist im Vergleich zu den Klassikern. Das spart eine Menge Zeit und Mühe, weil man sicher sein kann, dass man sich nur Gutes gönnt. Doch wie schon gesagt, muss man stets hinterfragen, ob Werk X oder Y wirklich gut und ein Klassiker in dem Sinne ist.
Faktor 3: Innovation und Einfluss
Ein dritter Aspekt, den viele mit Klassikern verbinden ist, dass diese Innovationspotenzial besitzen, also in irgendeiner Weise etwas Neuartiges gewesen sind, was es bisher nicht gegeben hat. Folglich besitzen sie einen großen Einfluss auf folgende Werke und haben ein Genre oder eine Gattung sehr stark geprägt. Damit verweist man auf den Umstand, dass solche Werke sich also von anderen insofern unterscheiden, dass sie bestehende Muster und Schemata nicht einfach übernehmen und reproduzieren. Nein, sie bringen etwas Neues zustande und schaffen damit Platz für Veränderungen. Im Gegensatz zu den Werken aus der zweiten Kategorie heben sie sich also nicht allein nur durch ihre gute Qualität oder Bekanntheit von der Masse ab, sondern haben dann auch noch etwas Originelles und Kreatives in sich. Es gibt viele Anime und Manga, die sehr gut sind, aber eben nicht wirklich was Neues in sich tragen. Sie sind vielleicht die besten Vertreter eines bestimmten Genres oder eines Musters, bestätigen aber eben diese, ohne etwas Neues und Kreatives hinzuzufügen. Anders sieht es eben bei der dritten Kategorie aus. Das Neuartige und Innovative zeigt sich auf verschiedenen Ebenen. Ob nun hinsichtlich der komplexen Handlungen oder der neuartigen Animationen, überall kann etwas neu gemacht oder verbessert werden.
Wie ich Klassiker einordnen würde
Das wären meiner Ansicht nach die drei großen Kategorien von Klassikern, die vor allem bei Manga und Anime, aber auch bei Filmen und Büchern wiederfinden kann. Nun knüpfe ich wiederum die Verbindung zum Anfang und stelle die Frage, ob es möglich ist einen Kanon an Klassikern von Manga und Anime zu erstellen und wie dieser wohl aussehen würde?
Daher hier einige Beispiele, über die wir gerne diskutieren könnten. Ich würde sagen, dass es vielleicht sinnvoll wäre für jede der drei vorgestellten Kategorien Vertreter zu finden. Oder meint ihr, dass es besser wäre alle drei miteinander zu verbinden? Zu der ersten Kategorie gehören für mich eben solche Anime, die schon einige Jahre oder Jahrzehnte auf dem Buckel haben und auch heute noch aktuell sein können bzw. immer noch als gut erachtet werden können. Dazu zählen für mich Werke wie „Die Rosen von Versailles“ und „Sailor Moon“, wobei es bei ersterem Überschneidungen zur dritten Kategorien der innovativen Werke gibt. Insofern lassen sich diese Gruppen nicht gänzlich voneinander unterscheiden. Das sind Werke, die meiner Ansicht nach ein Stück Anime/Manga-Geschichte ausmachen und daher zur Allgemeinbildung gehören. Sie verdeutlichen uns die Anfänge und Entwicklungen der beiden.
Zur zweiten Gruppe zähle ich dann solche Anime und Manga, die vielleicht nicht sehr alt sind, aber doch schon einige Jahre in der Öffentlichkeit stehen und sich weltweit großer Beliebtheit erfreuen. Ich finde da kann man wirklich sehr viel streiten, weil es eben dann um die Problematik der Qualitätsfrage geht. Sind diese Anime/Manga aufgrund ihrer Qualität beliebt oder aus welchen anderen Gründen noch? Es können gerade solche etablierten Schemata und Stereotype sein, die deren Erfolg belegen. Hier würde ich vor allem auch Werke einordnen, die man auch als „typisch“ für ein bestimmtes Genre ansehen würde. Also die großen drei „Naruto“, „Dragon Ball“ und „One Piece“, die sich sehr stark ähneln, aber eben doch sehr beliebt sind. Genau das käme also noch als Punkt dazu, dass man Werke als Klassiker bezeichnet, die eben Repräsentanten für Genre oder Geschichten sind, mit Vorbildfunktion. Hier handelt es sich also um eine Gruppe von ausgewählten Werken, die aus verschiedenen Gründen herausragend sind und daher unbedingt gekannt werden sollten. Sie sind so gut, dass deren Wertschätzung viele Jahre bestehen bleibt und sich sogar weltweit ausbreitet. Dadurch, dass sie eben in mehreren Ländern konsumiert werden, zeigt sich eine gewisse Universalität. Sie sprechen viele verschiedene Bedürfnisse an, haben etwas in sich, was Menschen verschiedener Kulturen fasziniert, sind insofern also allgemeingültig.
Zur letzten Kategorie würde ich dann Werke nennen, die eben vielleicht ganz so Mainstream sind wie die aus der vorherigen Gruppe. Das mag jetzt vielleicht etwas abwertend klingen, aber es ist, dass man zur zweiten einfach auch sehr viel mehr Werke zusammenfassen kann als zur letzten. Hier würde ich spontan an „Akira“, „Ghost in the Shell“, „Neon Genesis Evangelion“, die Filme von Hayao Miyazaki und die Manga von Isamu Tezuka denken, einfach weil sie wirklich innovative Elemente in sich tragen und auch die nachfolgenden Werke stark beeinflusst haben. Für mich haben diese Werke am meisten die Bezeichnung „Klassiker“ verdient, weil sie eben einerseits schon älter sind, weltweit anerkannt werden und dann auch noch Innovationspotenzial in sich tragen. Es sind Werke, die die Geschichte der japanischen Populärkultur prägen und vor allem auch Manga und Anime im Westen beliebt gemacht haben.
Was meint ihr? Welche Faktoren müssen zutreffen, damit ein Manga/Anime als Klassiker bezeichnet werden kann? Seid ihr der Meinung, dass möglichst viele oder gar alle Faktoren des Klassikers zutreffen? Oder tendiert ihr mehr zu einem Merkmal? Oder wie würdet ihr die Faktoren gewichten? Kommt bei euch die Popularität oder die Innovation an erster Stelle? Oder habt ihr vielleicht Ideen für andere Kriterien oder Einteilungen in Kategorien?
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