Dienstag, 27. Dezember 2016

Manga-Kultur in Japan


In Japan haben sich die Ansichten über Manga in den letzten Jahrzehnten sehr geändert. Während man früher noch daran festhielt, dass sie eine Art Bücherersatz für Kinder darstellen, ist dies heute nicht mehr so. Es ist eher so, dass dieses Medium sich nun einen festen Platz neben anderen wie Romanen und Fernsehen erworben hat.

Manga stehen zwischen dem Roman und dem Fernsehen, stellen ein ganz eigenes Medium dar, denn sie bestehen aus Bildern und Schrift. Gerade da sie vor allem von den Bildern leben und in Kombination mit der Schrift Geschichten erzählen, haben sie auch einige Eigenheiten des Films (Perspektive, Darstellung des Geschehens). Manga fesseln aufgrund verschiedener Aspekte, sei es die schöne Linienführung oder die besondere Art und Weise der erzählerischen Vermittlung.

Im Gegensatz zu anderen Ländern, in denen Comics als reine Kinder- und Jugendliteratur aufgefasst werden, gelten Comics in Japan als gleichberechtigtes Medium neben anderen etablierten wie Literatur und Film. Denn da es ja eine breite Vielfalt an Genres gibt und auch für jede Altersgruppe etwas zu finden ist, sieht man auch gerne Pendler und Geschäftsleute in der Öffentlichkeit Manga lesen.

Thematische Vielfalt der Genres


Wie ich schon häufig in anderen Texten betont habe, bestechen japanische Manga durch eine breite Palette unterschiedlicher Genres, wodurch verschiedene Lesergruppen angesprochen werden. Aufgrund der großen Vielfalt an Subgenre werden verschiedene Themengebiete abgesteckt. Für jedes Hobby gibt es mindestens einen passenden Manga. Sie reichen thematisch von Kochen, über Mode bis hin zu Sport und Fantasy.

Dabei richten sich die Genres nicht nur nach inhaltlichen Kriterien, doch auch für jede Altersgruppe ist etwas dabei. Es gibt Manga für die kleinen, doch auch Jugendliche können durch Genres wie Shojo und Shonen sich selbst finden oder ihre Ideale verwirklicht sehen. Doch damit nicht genug. Auch gesellschaftskritische und tiefgründige Manga werden geboten, die besonders das erwachsene Publikum ansprechen. Dabei werden Geschichten vermittelt, die sich um die Arbeitswelt und das Familienleben drehen, um Karriere wie Kindererziehung, aber auch immer mehr thematisiert wird das Leben als Single. Damit begleitet der Manga idealerweise von der Kindheit bis ins hohe Alter.

Japanische Kunst und Manga

Tatsächlich bringt man Manga auch immer wieder mit der traditionellen japanischen Kunst, die schon sehr alt und geschätzt ist, in Verbindung. So verweisen viele Forscher auf die „Ukiyoe“-Holzschnitte wie beispielsweise jene von Katsushika Hokusai mit seinen berühmten „Hokusai Manga,“ von dem angeblich auch der Begriff „Manga“ stammt. Inwiefern dies nun zutrifft, darüber wird in der Forschung noch heiß diskutiert. Darüber hinaus soll es weitere künstlerische Vorläufer für Manga geben, wodurch von vielen Forschern versucht wird, Manga als eine besondere Kunstform zu legitimieren, die auf Jahrhunderte alte Traditionen fußt.

Manga im japanischen Alltag


In der japanischen Alltagswelt sind Manga überall präsent. Natürlich primär als Lektüre, aber auch sehr gerne als dekoratives Element auf Waren des täglichen Gebrauchs (darunter auch Kreditkarten) oder in Form von zeichnerisch dargestellten Informationen auf Schildern und Gebrauchsanleitungen. So wird diese Kunstform nicht nur als Fernsehserie oder Film konsumiert, sondern begleitet die Japaner im Alltag als animierte Figuren, die auf Bildschirmen von Bankautomaten anleiten oder auch in TV-Werbungen erscheinen.

Japan verfügt heute über die größte Comic- und Zeichentrickindustrie der Welt und Manga wie Anime erfahren in Japan eine große Akzeptanz. Sie werden von allen Alters- und Bevölkerungsschichten gelesen, dienen als Bilder in Schulbüchern und werden sogar im Unterricht besprochen. Außerdem werden auch die kreativen Fähigkeiten von Mangaka von der japanischen Regierung und Wirtschaftsfirmen genutzt, die sie als kreative Berater anstellen.

In Japan bilden Manga einen wirklich erstaunlich großen Markt mit einem Umsatz von mehr als 500 Mrd. Yen (ca. 40 Mrd. Euro). Dies kommt einem Anteil von ca. 25 % am Umsatz für Publikationen in Japan gleich. Jede dritte Veröffentlichung ist ein Manga. Obwohl nun Manga sehr gern in Japan konsumiert wurden, war es nicht so, dass die Regierung dies in irgendeiner Weise beeinflusst oder unterstützt hätte. Manga sind eine Erscheinung der Populärkultur und haben sich heute zu einer künstlerischen Form etabliert. 


Außerdem waren Manga und Anime DIE Unterhaltungs- und Freizeitform im Nachkriegsjapan. Es bestehen seit Mitte der 1990er Jahre in Japan Diskussionen, ob die japanische Kultur außerhalb durch Manga repräsentiert werden sollte, anstatt nur traditionelle Kunstformen zu verwenden, die selbst kein Teil der japanischen Alltagskultur sind.

Das Resultat dieser Debatten wird zehn Jahre später bemerkbar. Im Jahr 2007 werden auf der englischsprachigen Homepage der Japan National Tourism Organization (JNTO) unter den drei Tipps für Japanreise nach den traditionellen Veranstaltungen auch „Japanische Anime und Comics“ aufgezählt. Die internationale Anime Messe in Tokyo wird dabei als eine besondere Attraktion heraus gestellt. Manga und Anime sind denach Symbole, die auch in der Werbung für Japan verwendet werden.

In den letzten Jahren sind Manga auch außerhalb von Japan sehr gefragt und gelten als kulturelles Exportgut Japans. Sie dienen als Medium, um Menschen in anderen Kulturen Aspekte Japans zu vermitteln.

Japan als visuelle Kultur


Ein Grund für die starke Präsens von Manga wie Anime im japanischen Alltag ist, dass Japan ein Land ist, das vor allem chinesische Schriftzeichen verwendet und dadurch traditionell piktografisch geprägt ist. Dieser Sinn für das Bildliche konnte hoch stilisiert werden. Manga und Anime sind also Produkte einer stark visuell ausgerichteten Kultur.

Die japanische Schrift besteht aus einer Verbindung aus zwei Silbenschriften (Hiragana und Katakana) und einem visuellen Schreibsystem – der chinesischen Schriftzeichen. Die Visualisierung der Sprache durch Ideogramme (chinesische Schriftzeichen sind in ihrer Ausgangsform einfache Bilder, deren Bedeutung leicht ersichtlich sind) könnte nach Schodt die Wirkung haben, dass sich der Manga als Medium der visuellen Kommunikation entwickeln konnte.


Nach dem russischen Filmemacher Sergej Eisenstein soll es eine Beziehung zwischen dem chinesischen Ideogramm und dem filmischen Wesen vieler Aspekte japanischer Kultur geben. Das Verbinden mehrerer Piktogramme um komplexe Gedanken darzustellen, wie dies in der japanischen Schrift der Fall ist, sei eine Form der Montage, die auch im Film auffindbar ist und alle Formen der japanischen Kunst prägt. Auch Osamu Tezuka begriff seine Manga-Zeichnungen nicht als Bilder, sondern als Hieroglyphen, die eine Geschichte erzählen.

Mangalesen als beliebtes Hobby in Japan

Die Gründe eben für die starke Präsens der Manga in Japan kann in der modernen japanischen Gesellschaft gefunden werden. Manga zu lesen ist eine stille Aktivität, die man am liebsten ungestört verrichtet. Manga sind schneller zu lesen als Romane, sind leichter mitzunehmen und bieten Entspannung wie auch Unterhaltung in einer so strengen Gesellschaft wie in Japan.

Verniedlichungskultur in Japan

 Verniedlichung scheint auch ein Prinzip in der japanischen Kultur generell zu sein. Es gibt in Japan unzählige Schilder, die vor bestimmten Gefahren warnen sollen, jedoch teilweise den gegenteiligen Effekt haben. 


In diesem Zusammenhang sind besonders die „Dingwesen“ zu nennen, die man unter dem weiten Begriff „kyarakuta“ (キャラクター) oder in Kurzform als kyara (キャラ) kennt. Hierbei muss man die Mehrdeutigkeit des Begriffs berücksichtigen. Die Kategorie kyara kann verschiedene Figuren umfassen, ob vermenschlichte Kreaturen oder so etwas wie Hello Kitty bis hin zu den menschlich wirkenden Gestalten aus Manga und Anime, alle stehen stellvertretend für diese „Dingwesen“. Seit etwa der Jahrhundertwende wird Japan daher als „Figuren-Supermacht“ bezeichnet.

Mangakultur in Japan


Seit den 1970er Jahren hat sich auch eine immense Fanszene entwickelt, die sich mit der Animeszene überschneidet. Es sind vor allem die Otaku, die auch kreativ und produktiv sind. Daraus entstehen dann Fanarts, Fanfictions und Dojinshis. Darüber hinaus werden auch große Veranstaltungen von Fans und für Fans organisiert. Daneben ist Cosplay, also das Verkleiden als eine fiktive (Manga/Anime)Figur sehr beliebt, was auch zum Entstehen sogenannter Cosplay-Cafes geführt hat. Darüber hinaus existiert auch eine große Tauschkultur („mawashiyomi), bei der viele Bände ausgetauscht werden und ach Manga Kissa – also Cafes, die sich auf Manga spezialisieren.

Manga zwischen verschiedenen Medien

In Japan ist es nun so, dass immer mehr Manga Stoffgrundlage für Kino und Fernsehen darstellen. Dadurch nehmen auch viele Menschen durch TV-Serien und Kinofilme Manga in Kenntnis, die sie selbst nicht gelesen haben. Besonders beliebt sind dabei meines Erachtens Werke aus dem Shojo Bereich, die als J-Doramas real umgesetzt werden.

Interessant ist auch, dass die Vermarktung von Manga oftmals im Medienverbund geschieht. Das bedeutet, dass Manga meist in Verbindung mit Anime, Videospielen wie anderen Medien verkauft werden. Schafft es eine Mangaserie die Herzen der Leser für sich zu gewinnen, wird sie dann auch meist adaptiert, damit sie an Beliebtheit gewinnt. In Japan ist es so, dass anders als in Deutschland, Manga erst erscheinen und danach diese bei Erfolg in Anime transformiert werden. Danach folgen Realverfilmungen oder auch Videospiele. Diese Wechselwirkungen in der Vermarktung sichert die Verlage gewissermaßen ab.

Fazit

Abschließend lässt sich sagen, dass sehr viele Gründe dafür sprechen, dass Manga als Subgenre des Comics wirklich japan-spezifisch sind und im Gegensatz zu anderen Comics einen weitaus größeren Stellenwert in ihrem Herkunftsland haben, sowohl auf wirtschaftlicher, kultureller, künstlerischer als auch gesellschaftlicher Ebene. Manga dienen dabei zwar vorwiegend als Lektüre, erfüllen aber gewissermaßen auch bestimmte Bedürfnisse (Ausgleich zum stressigen Alltag), können pädagogisch eingesetzt werden (Warnschilder wie auch Sachmanga), aber erfüllen auch dekorative Funktion, in dem sie in einer visuellen Kultur wie in Japan überall im Alltag zu finden sind. Die Mangakultur in Japan ist eine gänzliche andere als beispielsweise in Deutschland, in der Manga gesellschaftlich noch nicht so akzeptiert sind, besonders da gewisse Vorurteile bestehen. Das mag zum einen auch an der Visualität Japans liegen, zum anderen auch einfach daran, dass Manga schon eine lange Geschichte in Japan hinter sich haben und vor allem eben durch eine breite Vielfalt an Themen und Genres bieten und für Menschen jeden Alters geeignet sind. Außerdem besteht im westlichen Raum noch immer die Ansicht, dass Comics eben nicht vollwertige Medien wie Literatur und Film sind, wobei es inzwischen auch eine sich weiter entwickelnde Comic- und Mangaforschung gibt, die diese normativen Haltungen versuchen abzubauen.

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