In Japan haben sich die
Ansichten über Manga in den letzten Jahrzehnten sehr geändert.
Während man früher noch daran festhielt, dass sie eine Art
Bücherersatz für Kinder darstellen, ist dies heute nicht mehr so.
Es ist eher so, dass dieses Medium sich nun einen festen Platz neben
anderen wie Romanen und Fernsehen erworben hat.
Im Gegensatz zu anderen
Ländern, in denen Comics als reine Kinder- und Jugendliteratur
aufgefasst werden, gelten Comics in Japan als gleichberechtigtes
Medium neben anderen etablierten wie Literatur und Film. Denn da es
ja eine breite Vielfalt an Genres gibt und auch für jede
Altersgruppe etwas zu finden ist, sieht man auch gerne Pendler und
Geschäftsleute in der Öffentlichkeit Manga lesen.
Thematische Vielfalt der
Genres
Wie ich schon häufig in
anderen Texten betont habe, bestechen japanische Manga durch eine
breite Palette unterschiedlicher Genres, wodurch verschiedene
Lesergruppen angesprochen werden. Aufgrund der großen Vielfalt an
Subgenre werden verschiedene Themengebiete abgesteckt. Für jedes
Hobby gibt es mindestens einen passenden Manga. Sie reichen
thematisch von Kochen, über Mode bis hin zu Sport und Fantasy.
Dabei richten sich die
Genres nicht nur nach inhaltlichen Kriterien, doch auch für jede
Altersgruppe ist etwas dabei. Es gibt Manga für die kleinen, doch
auch Jugendliche können durch Genres wie Shojo und Shonen sich
selbst finden oder ihre Ideale verwirklicht sehen. Doch damit nicht
genug. Auch gesellschaftskritische und tiefgründige Manga werden
geboten, die besonders das erwachsene Publikum ansprechen. Dabei
werden Geschichten vermittelt, die sich um die Arbeitswelt und das
Familienleben drehen, um Karriere wie Kindererziehung, aber auch
immer mehr thematisiert wird das Leben als Single. Damit begleitet
der Manga idealerweise von der Kindheit bis ins hohe Alter.
Japanische Kunst und
Manga
Tatsächlich bringt man
Manga auch immer wieder mit der traditionellen japanischen Kunst, die
schon sehr alt und geschätzt ist, in Verbindung. So verweisen viele
Forscher auf die „Ukiyoe“-Holzschnitte wie beispielsweise jene
von Katsushika Hokusai mit seinen berühmten „Hokusai Manga,“ von
dem angeblich auch der Begriff „Manga“ stammt. Inwiefern dies nun
zutrifft, darüber wird in der Forschung noch heiß diskutiert.
Darüber hinaus soll es weitere künstlerische Vorläufer für Manga
geben, wodurch von vielen Forschern versucht wird, Manga als eine
besondere Kunstform zu legitimieren, die auf Jahrhunderte alte
Traditionen fußt.
Manga im japanischen Alltag
In der japanischen
Alltagswelt sind Manga überall präsent. Natürlich primär als
Lektüre, aber auch sehr gerne als dekoratives Element auf Waren des
täglichen Gebrauchs (darunter auch Kreditkarten) oder in Form von
zeichnerisch dargestellten Informationen auf Schildern und
Gebrauchsanleitungen. So wird diese Kunstform nicht nur als
Fernsehserie oder Film konsumiert, sondern begleitet die Japaner im
Alltag als animierte Figuren, die auf Bildschirmen von Bankautomaten
anleiten oder auch in TV-Werbungen erscheinen.
Japan verfügt heute über
die größte Comic- und Zeichentrickindustrie der Welt und Manga wie
Anime erfahren in Japan eine große Akzeptanz. Sie werden von allen
Alters- und Bevölkerungsschichten gelesen, dienen als Bilder in
Schulbüchern und werden sogar im Unterricht besprochen. Außerdem
werden auch die kreativen Fähigkeiten von Mangaka von der
japanischen Regierung und Wirtschaftsfirmen genutzt, die sie als
kreative Berater anstellen.
In Japan bilden Manga
einen wirklich erstaunlich großen Markt mit einem Umsatz von mehr
als 500 Mrd. Yen (ca. 40 Mrd. Euro). Dies kommt einem Anteil von ca.
25 % am Umsatz für Publikationen in Japan gleich. Jede dritte
Veröffentlichung ist ein Manga. Obwohl nun Manga sehr gern in Japan
konsumiert wurden, war es nicht so, dass die Regierung dies in
irgendeiner Weise beeinflusst oder unterstützt hätte. Manga sind
eine Erscheinung der Populärkultur und haben sich heute zu einer
künstlerischen Form etabliert.
Außerdem waren Manga und
Anime DIE Unterhaltungs- und Freizeitform im Nachkriegsjapan. Es
bestehen seit Mitte der 1990er Jahre in Japan Diskussionen, ob die
japanische Kultur außerhalb durch Manga repräsentiert werden
sollte, anstatt nur traditionelle Kunstformen zu verwenden, die
selbst kein Teil der japanischen Alltagskultur sind.
Das Resultat dieser
Debatten wird zehn Jahre später bemerkbar. Im Jahr 2007 werden auf
der englischsprachigen Homepage der Japan National Tourism
Organization (JNTO) unter den drei Tipps für Japanreise nach den
traditionellen Veranstaltungen auch „Japanische Anime und Comics“
aufgezählt. Die internationale Anime Messe in Tokyo wird dabei als
eine besondere Attraktion heraus gestellt. Manga und Anime sind
denach Symbole, die auch in der Werbung für Japan verwendet werden.
In den letzten Jahren
sind Manga auch außerhalb von Japan sehr gefragt und gelten als
kulturelles Exportgut Japans. Sie dienen als Medium, um Menschen in
anderen Kulturen Aspekte Japans zu vermitteln.
Japan als visuelle Kultur
Ein Grund für die starke
Präsens von Manga wie Anime im japanischen Alltag ist, dass Japan
ein Land ist, das vor allem chinesische Schriftzeichen verwendet und
dadurch traditionell piktografisch geprägt ist. Dieser Sinn für das
Bildliche konnte hoch stilisiert werden. Manga und Anime sind also
Produkte einer stark visuell ausgerichteten Kultur.
Die japanische Schrift
besteht aus einer Verbindung aus zwei Silbenschriften (Hiragana und
Katakana) und einem visuellen Schreibsystem – der chinesischen
Schriftzeichen. Die Visualisierung der Sprache durch Ideogramme
(chinesische Schriftzeichen sind in ihrer Ausgangsform einfache
Bilder, deren Bedeutung leicht ersichtlich sind) könnte nach Schodt
die Wirkung haben, dass sich der Manga als Medium der visuellen
Kommunikation entwickeln konnte.
Nach dem russischen
Filmemacher Sergej Eisenstein soll es eine Beziehung zwischen dem
chinesischen Ideogramm und dem filmischen Wesen vieler Aspekte
japanischer Kultur geben. Das Verbinden mehrerer Piktogramme um
komplexe Gedanken darzustellen, wie dies in der japanischen Schrift
der Fall ist, sei eine Form der Montage, die auch im Film auffindbar
ist und alle Formen der japanischen Kunst prägt. Auch Osamu Tezuka
begriff seine Manga-Zeichnungen nicht als Bilder, sondern als
Hieroglyphen, die eine Geschichte erzählen.
Mangalesen als beliebtes
Hobby in Japan
Die Gründe eben für die
starke Präsens der Manga in Japan kann in der modernen japanischen
Gesellschaft gefunden werden. Manga zu lesen ist eine stille
Aktivität, die man am liebsten ungestört verrichtet. Manga sind
schneller zu lesen als Romane, sind leichter mitzunehmen und bieten
Entspannung wie auch Unterhaltung in einer so strengen Gesellschaft
wie in Japan.
Verniedlichungskultur in
Japan
Verniedlichung scheint
auch ein Prinzip in der japanischen Kultur generell zu sein. Es gibt
in Japan unzählige Schilder, die vor bestimmten Gefahren warnen
sollen, jedoch teilweise den gegenteiligen Effekt haben.
In diesem Zusammenhang
sind besonders die „Dingwesen“ zu nennen, die man unter dem
weiten Begriff „kyarakuta“ (キャラクター)
oder in Kurzform als kyara (キャラ)
kennt. Hierbei muss man die Mehrdeutigkeit des Begriffs
berücksichtigen. Die Kategorie kyara kann verschiedene Figuren
umfassen, ob vermenschlichte Kreaturen oder so etwas wie Hello Kitty
bis hin zu den menschlich wirkenden Gestalten aus Manga und Anime,
alle stehen stellvertretend für diese „Dingwesen“. Seit etwa der
Jahrhundertwende wird Japan daher als „Figuren-Supermacht“
bezeichnet.
Mangakultur in Japan
Seit den 1970er Jahren
hat sich auch eine immense Fanszene entwickelt, die sich mit der
Animeszene überschneidet. Es sind vor allem die Otaku, die auch
kreativ und produktiv sind. Daraus entstehen dann Fanarts,
Fanfictions und Dojinshis. Darüber hinaus werden auch große
Veranstaltungen von Fans und für Fans organisiert. Daneben ist
Cosplay, also das Verkleiden als eine fiktive (Manga/Anime)Figur sehr
beliebt, was auch zum Entstehen sogenannter Cosplay-Cafes geführt
hat. Darüber hinaus existiert auch eine große Tauschkultur
(„mawashiyomi), bei der viele Bände ausgetauscht werden und ach
Manga Kissa – also Cafes, die sich auf Manga spezialisieren.
Manga zwischen
verschiedenen Medien
In Japan ist es nun so,
dass immer mehr Manga Stoffgrundlage für Kino und Fernsehen
darstellen. Dadurch nehmen auch viele Menschen durch TV-Serien und
Kinofilme Manga in Kenntnis, die sie selbst nicht gelesen haben.
Besonders beliebt sind dabei meines Erachtens Werke aus dem Shojo
Bereich, die als J-Doramas real umgesetzt werden.
Interessant ist auch,
dass die Vermarktung von Manga oftmals im Medienverbund geschieht.
Das bedeutet, dass Manga meist in Verbindung mit Anime, Videospielen
wie anderen Medien verkauft werden. Schafft es eine Mangaserie die
Herzen der Leser für sich zu gewinnen, wird sie dann auch meist
adaptiert, damit sie an Beliebtheit gewinnt. In Japan ist es so, dass
anders als in Deutschland, Manga erst erscheinen und danach diese bei
Erfolg in Anime transformiert werden. Danach folgen Realverfilmungen
oder auch Videospiele. Diese Wechselwirkungen in der Vermarktung
sichert die Verlage gewissermaßen ab.
Fazit
Abschließend lässt sich
sagen, dass sehr viele Gründe dafür sprechen, dass Manga als
Subgenre des Comics wirklich japan-spezifisch sind und im Gegensatz
zu anderen Comics einen weitaus größeren Stellenwert in ihrem
Herkunftsland haben, sowohl auf wirtschaftlicher, kultureller,
künstlerischer als auch gesellschaftlicher Ebene. Manga dienen dabei
zwar vorwiegend als Lektüre, erfüllen aber gewissermaßen auch
bestimmte Bedürfnisse (Ausgleich zum stressigen Alltag), können
pädagogisch eingesetzt werden (Warnschilder wie auch Sachmanga),
aber erfüllen auch dekorative Funktion, in dem sie in einer
visuellen Kultur wie in Japan überall im Alltag zu finden sind. Die
Mangakultur in Japan ist eine gänzliche andere als beispielsweise in
Deutschland, in der Manga gesellschaftlich noch nicht so akzeptiert
sind, besonders da gewisse Vorurteile bestehen. Das mag zum einen
auch an der Visualität Japans liegen, zum anderen auch einfach
daran, dass Manga schon eine lange Geschichte in Japan hinter sich
haben und vor allem eben durch eine breite Vielfalt an Themen und
Genres bieten und für Menschen jeden Alters geeignet sind. Außerdem
besteht im westlichen Raum noch immer die Ansicht, dass Comics eben
nicht vollwertige Medien wie Literatur und Film sind, wobei es
inzwischen auch eine sich weiter entwickelnde Comic- und
Mangaforschung gibt, die diese normativen Haltungen versuchen
abzubauen.
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